Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
hatte er letzthin kopfschüttelnd geäußert. Und ein andermal: "Ich hätte nie gedacht, dass eine Frau einen Mann derart in die Knie zwingen kann."
Dieses Thema bewegte ihn umso mehr, da er seit einigen Monden seine Aufmerksamkeit auf Jungfern richtete und sich derzeit Chancen bei der Tochter eines Schmuckhändlers ausmalte. Obwohl Lucia ihn darauf hinwies, mit seinen nicht mal zwanzig Jahren sei er doch noch zu jung für eine feste Bindung, war er nicht davon abzubringen, er suchte eine Frau fürs Leben, mit der er mal Bambini haben will. Einzig seine bevorstehende Studienzeit bei Maestro Bramante lenkte ihn von dieser Suche noch ab.
Lucia erfüllten indes ihre neuen Malübungen. Stets setzte sie sich mit Freuden an die Staffelei und hatte hinterher meist ein Ergebnis vor sich, das sie erstaunte. Dennoch schenkte sie ihnen keine weitere Beachtung, und Leonardo, der sich Abend für Abend ihre Studien ausgiebig betrachtete, verlor nie ein Wort darüber.
Privat hingegen bezeigte Leonardo Lucia all seine Zuneigung und führte häufig Begegnungen mit ihr herbei, auch wenn er nur mal eben zu ihr ins Labor schaute, um sich mit netten Worten nach ihrem Befinden zu erkundigen. Auch jetzt öffnete er ihre Verbindungstür, Lucia stand direkt davor, und wie dann sein Kopf durch den Türspalt lugte, konnte sie nicht widerstehen, ihm kurz mit der Hand durch seine Locken zu wuscheln.
"Das habe ich mir schon lange gewünscht", strahlte er sie dafür an, worauf sie lachend zurückgab:
"Auwei, du Wüstling!"
Dann trat er vollends ein und teilte ihr mit, er sei heute in der Gießerei beschäftigt, und nach Feierabend werde er mit ihr eine leichte Abwandlung ihrer Malstudien besprechen.
Jetzt noch eine Abwandlung ihrer Übungen, wunderte sich Lucia, als sich Leonardo wieder in sein Atelier zurückgezogen hatte, wo er doch wisse, dass sie in bereits drei Tagen nach Meran reisen wird. Aber er hatte ihr einst verdeutlicht, der innere Reifeprozess richte sich nicht nach äußeren Bedingungen, und bei einer Seelenschulung dürfe man nie den rechten Zeitpunkt für eine notwendig gewordene Änderung in diesem Werdegang versäumen.
"Nur eine geringfügige Abwandlung deiner bisherigen Übungen", erklärte Leonardo Lucia am Abend, "die dir womöglich sogar gefallen wird. Fortan gebe ich dir die Begriffe für deine Malstudien vor, stets nur einen. Das ist auch schon alles. Lass bei der Übung den jeweiligen Begriff in dir lebendig werden und konzentriere dich dann auf ihn, ohne deine Hände zu beachten."
"Das werde ich."
Nach dieser kurzen Erläuterung erhob er sich bereits wieder zum Gehen, nicht ohne ihr aufzugeben: "Morgen beschäftigst du dich mit dem Begriff 'Befreiung', am Abend schau ich mir das Ergebnis dann an."
"Ist recht. Leonardo, ich freue mich auf diese neuen Übungen."
Sein Blick wurde liebevoll: "Bedauerlich, dass mir gerade jetzt so wenig Zeit für dich vergönnt ist."
Befereiung - Befreiung . . . Lucia empfand sie nach, alles in ihr weitete sich, weiter und immer weiter. Bald fühlte sie ihren Körper nicht mehr, alle Erdenschwere war von ihr abgefallen - sie fühlte sich frei, leicht und frei, wie neu geboren. Nun gewahrte sie in ihrer Brust eine Lichtflamme, deren Schein immer heller strahlte, bis er ihr ganzes Ich erfüllte und sie himmelwärts nach oben trug . . . Sie war frei, hineingeboren in eine lichte Feuerwelt . . .
Währenddessen übertrugen ihre Hände jenes Erlebnis auf den Malkarton.
Zurück zum Tagesbewusstsein gekehrt, erblickte Lucia nun vor sich in den Feuerfarben rot, gelb und orange das Abbild des soeben Erlebten. Es wich im Stil von ihren bisherigen Malergebnissen ab, denn diesmal war ein fast konkretes Element darin zu erkennen, eine Art Vogel, der senkrecht nach oben dem Himmel zustrebte.
Doch so sehr sie der Anblick dieses Feuervogels auch beflügelte, er löste gleichsam eine Befürchtung in ihr aus - wie wird Leonardo darauf reagieren? Ihr erster Gedanke war, ihm das Bild vorzuenthalten und ein neues zu versuchen, doch gleich drauf lachte sie über sich selbst, oh, Lucia, seit wann bist du feige! Also räumte sie ihren Malplatz auf und wusch am Ende draußen am Brunnen die Temperafarben von der Palette, aus den Pinseln und von ihren Händen - wieso waren schon wieder beide Hände bekleckst, wunderte sie sich.
Dann kam auch schon Leonardo vom Hof her zu ihr ins Labor. "Du wirkst gelöst", bemerkte er bereits beim Eintreten, "hat das deine Malstudie bewirkt?"
"Könnte sein."
Er trat umgehend an ihre
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