Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
Frühjahr und jeden Herbst für einige Wochen Gast auf dem Bellwillhügel war. Dazu hatte ihnen Lucias Großvater im Parterre seines Herrenhauses eine helle Stube als Atelier einrichten lassen. Zunächst hatte Meister Rodder gegen diese Malstunden nichts eingewandt, da sie von Monsieur de Belleville, dem von ihm verehrten, baronartigen Herrn des Bellwillhügels, gefördert wurden. Doch mit der Zeit schwoll wieder sein Eifersuchtsstachel, der sich nun vermehrt gegen Lucia richtete, da aus ihr inzwischen eine ansehnliche, bereits heiratsfähige Jungfer geworden war. Schließlich ging er soweit, Alphonse, diesem angeblich bis ins Mark verdorbenen Bellesigna, sein Haus zu verbieten, worauf sich Alphonse bei seinen Besuchen nur noch auf dem Anwesen seines Onkels aufhielt. Aber auch das reichte Meister Rodder nicht. In seinem Misstrauen stürzte er häufig überraschend während Lucias und Alphonses Malstunden in ihr Atelier, um ihre Sittsamkeit zu überprüfen.
Dann der Tag, als Meister Rodder vermeinte, sie ertappt zu haben. Lucia und Alphonse saßen während einer Malpause auf dem Fußboden und scherzten miteinander, wobei er sie nach hinten auf den Rücken schubste. Im gleichen Moment stieß Meister Rodder die Tür auf, und angesichts dieser Situation brüllte er: "Hundesohn! Hurentochter! Ihr verderbten Bellesigni beide!" Seine schwarzen Augen sprühten Funken, als er Lucia bei den Haaren packte und weiter wütete: "Verflucht der Tag, an dem ich in diese Sippe eingeheirat' hab!"
Alphonse konnte gegen den bärenstarken Peter Rodder nichts ausrichten, als der Lucia aus dem Herrenhaus und von da über den Hügel bis in sein Wohnhaus zerrte, ungeachtet der Tatsache, dass sie von Domestiken und Werksangehörigen hätten beobachtet werden können.
Das geschah einen Tag nach Lucias sechzehntem Geburtstag.
Nach diesem Vorfall verbot Meister Rodder seiner Tochter, das Haus zu verlassen und traf eine makabere Vorbereitung, die dann verwirklicht wurde. Frühmorgens des nächsten Tages fuhr er Lucia mit der Kutsche in das benachbarte Dorf Töll zu einem Schmied, der sich auf das Anpassen des Florentiner Eisens verstand. Lucia schämte sich unsäglich, als sie dann mit entblößtem Unterleib auf der Pritsche lag und ihr der Schmied nacheinander verschiedene Eisengürtel anlegte, wobei er jedesmal zur Probe ihre intimsten Körperteile befingerte. "Er muss perfekt sitzen", erklärte er Meister Rodder, "schwierig bei Eurer Tochter, weil ihr Becken noch nicht ausgewachsen ist. Jedenfalls muss ihr in etwa einem Jahr ein größeres Eisen angepasst werden."
Schließlich hatte er einen passenden Eisengürtel gefunden, legte ihn Lucia übers Becken, klappte dann über ihre Scham den Bügel hoch und sicherte ihn mit einem kleinen Schloss ab. Den Schlüssel überreichte er Meister Rodder, der feierlich dazu nickte.
Diese Demütigung erdrückte Lucia so sehr, dass sie die körperlichen Beschwerden, die sich dadurch ergaben, kaum beachtete. Hinzu kam, dass sie sich zunächst nur schleichend fortbewegen konnte und bei bestimmten Bewegungen, vorwiegend beim Hinsetzen, das Eisen scheppernd zu hören war. Deshalb hielt sie sich weiterhin ausschließlich im Haus auf. Und ihren Vater würdigte sie keines Blickes mehr.
Es bedurfte zweier Wochen, bis sich Lucia einigermaßen an diesen Marterapparat, von dem außer ihr und ihrem Vater niemand wusste, gewöhnt hatte und ihr Gang unauffällig geworden war. Erst dann betätigte sie sich wieder im Produktionsgebäude, nicht mehr im Kontorhaus, da sie ihre Kaufmannslehre vor sechs Wochen erfolgreich abgeschlossen hatte.
Mit ihrem Vater sprach sie nur noch das Nötigste, sie hasste ihn für diese Untat.
Das fiel Monsieur de Belleville auf, und er versuchte, Lucia den Grund für ihr Zerwürfnis mit ihrem Vater zu entlocken. Lucia jedoch, voller Scham, war außerstande, sich ihrem Großvater anzuvertrauen. Dennoch stellte er sich hinter sie, womit er Meister Rodders Macht über Lucia systematisch schwächte. Zunächst sorgte er dafür, dass Lucias Eltern ihre Tochter endlich in die öffentliche Gesellschaft einführten, wozu Lucia fortan in angemessener Garderobe an vielen Schloss- und Gutshausveranstaltungen in Südtirol teilnahm. Dadurch gewann sie langsam Selbstvertrauen zurück, zumal sie bald, trotz des Eisengürtels, auf diesen Bällen mittanzen konnte. Damit nicht genug, Monsieur de Belleville half ihr nun abends häufig beim Lösen der Alchimieaufgaben, die Meister Rodder ihr fast täglich stellte.
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