Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
weit gegangen. Ich werde dir jetzt helfen, es wieder loszuwerden."
Was er umgehend in Angriff nahm.
Er bewog jenen Schmied in Töll, der Lucia vor über drei Jahren den Gürtel angelegt hatte, ihn ihr wieder abzunehmen und fuhr anschließend mit Lucia zu ihm.
"Alles voller Eiter", rief der Schmied entsetzt durch die halboffene Tür zu Alphonse hin, als er Lucias Unterleib in Augenschein nahm. "Ein Verbrechen ist das. Ich habe ihrem Vater gesagt, sie darf den Gürtel nur ein Jahr tragen, weil sie noch nicht ausgewachsen war. Man sollte diesen Mann anzeigen!"
Dann begab er sich ans Werk, und mit wenigen Griffen hatte er Lucia von dem Teufelseisen befreit. Nachdem er sie wieder zugedeckt und Alphonse herbei gerufen hatte, legte er ihr nahe, sich unverzüglich in medizinische Hände zu begeben. Er empfahl Dr. Häuserl hier im Ort, der auch über eine Krankenstube verfüge, wo sie so lange wie nötig versorgt werden könne.
Lucia und Alphonse befolgten dankbar seinen Rat.
"Länger hätte man nicht warten dürfen", äußerte Dr. Häuserl mit unverhohlenem Vorwurf in der Stimme, nachdem er Lucia untersucht hatte. Er schüttelte mehrmals stumm seinen grauhaarigen Kopf, bevor er Lucia instruierte: "So aber ist alles auszuheilen. Nur wird dir die Haut in jenem Gebiet dein Lebtag Schwierigkeiten bereiten, speziell bei langem Sitzen oder gar Reiten. Meine Gehilfin wird jetzt zunächst gründlich die Wunden reinigen, und danach sehen wir weiter, tapferes Mädchen."
Während er dann nach seiner Gehilfin suchte, kündete Alphonse Lucia an, er werde jetzt nach Meran fahren, um ihren Eltern das blut- und eiterverkrustete Eisen, das er sich von dem Schmied hatte aushändigen lassen, unter die Nase zu halten. Außerdem werde er ihrem Vater mit einer Anzeige drohen. Lucia war das momentan gleichgültig, ihre Schmerzen ließen kein klares Denken zu.
Am Abend, frisch gereinigt, gesalbt und verbunden, konnte sich Lucia zum ersten Mal über die Befreiung ihres Unterleibes freuen. Und mit dieser Freude glitt sie unversehens in einen langen, traumlosen Schlaf.
Alphonse logierte in einem Töller Gasthof, um Lucia so oft besuchen zu können, wie es der Arzt gestatte.
Bereits am nächsten Morgen saß er an ihrem Bett. und auf ihre Frage, wie ihre Eltern gestern reagiert hätten, berichtete er ihr mit deutlich unterdrückter Erregung, alleine der Anblick des Eisens habe sie verstummen lassen, und seine anschließenden ungehemmten Vorwürfe hätten ihnen alle Farbe aus dem Gesicht getrieben. Am Ende habe er ihnen ihre hiesige Adresse mitgeteilt.
Tage vergingen, während derer sich Lucia rascher erholte, als vom Arzt erwartet. Eins indes betrübte sie, warum besuchten ihre Eltern sie nicht? Alphonse war ein zweites Mal zu ihnen gefahren, um sie anzuregen, mal nach ihrer Tochter zu schauen. Doch sie kamen nicht. Wahrscheinlich scheuen sie die Begegnung mit meinem Arzt, sagte sich Lucia. Sie sind feige! Alle beide!
Nach einer weiteren Woche waren Lucias Wunden verheilt, einzig die nachgewachsene Haut bedurfte noch der Pflege.
Madame und Meister Rodder hatten sich noch immer nicht bei ihrer Tochter blicken lassen.
Das werden sie auch nicht, musste sich Lucia jetzt eingestehen, sie hatte sich falschen Hoffnungen hingegeben. So ging ihre bisherige Enttäuschung nun in Trotz über, aus dem heraus sie Alphonse sagte: "Mit meinen Eltern habe ich abgeschlossen. Endgültig. Ich will nie wieder zu ihnen zurück!"
"Das brauchst du auch nicht, Lucia."
Von da an besprachen sie Lucias Zukunft. Immer wieder, da jedem eine andere Kunstausbildung für sie vorschwebte. Alphonse hielt eine Schulung bei einem südfranzösischen Meister für das Klügste, was Lucia jedoch nicht ausreichte, sie strebte eine Ausbildung in der Kunstwerkstatt eines anerkannten Meisters an, möglichst in Italien, da dort die größten Meister lebten. Was Alphonse auch verstand, sogar befürworten würde, doch er hufte vor der Gefahr zurück. Denn kein Maestro würde eine Jungfer als Garzone annehmen, weshalb sie sich bei ihnen als Jüngling berwerben müsse. Ein waghalsiges Unterfangen.
"Nein", widersprach Lucia, "ein kluger Kompromiss."
"Den du nur schwerlich durchhalten könntest", warnte sie Alphonse, "da man auf Dauer seine wahre Natur nicht ungestraft verleugnen kann."
Nun, letztendlich hatte sie sich in diesem Punkt bei ihm durchgesetzt. Ja, Lucia konnte hartnäckig sein, nicht selten sogar stur.
Am Nikolaustag war Lucia soweit genesen, dass sie sich von Dr. Häuserl und seiner
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