Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
nicht allzu ruppig, weshalb sie bald eine angenehme Unterhaltung führten. Ganz bei der Sache war Lucia allerdings nicht, da sie mit einem Ohr stets zum Korridor hin lauschte, ob Carlo nach Hause käme. Doch er kam nicht.
Endlich war es spät genug zum Schlafengehen. Sie sagten sich Gutenacht, und schon eilte Lucia hoch in Carlos Kammer. Dort lag sie schließlich ebenso flugs im Bett wie am Abend zuvor.
Lucia hatte Carlo in der Nacht weder kommen noch heute Früh gehen hören. Doch die Öllampe brannte, und in ihrem Schein erkannte sie, dass Carlos Bett zwar leer, jedoch benutzt war, und wie sie an den Toilettentisch trat, sah sie dort seine ebenfalls benutzten Rasierutensilien liegen. Er musste sich leise wie ein Mäuschen verhalten haben.
Auch am Frühstückstisch fehlte dann Carlo, er spielte den Beleidigten gründlich. Umso netter wurde Lucia von seiner Mutter und Schwester umsorgt, und anschließend begab sie sich in der Modistenwerkstatt abermals an das Schreibpult.
Nicht nur am Vormittag, auch am Nachmittag saß Luciar über der Abrechnung gebeugt.
Nur ließ ihre Konzentration in den letzten Stunden nach, ihre Gedanken suchten bisweilen Carlo. Sie zog in Erwägung, ihm doch Unrecht getan zu haben. Nein, sagte sie sich dann wieder, denn wenn sie vor Augen bekam, mit welch flackerndem Blick er ihre Beine betrachtet hatte, mit sogar der Absicht, sie zu betasten, wurde ihr übel. Allerdings hatte sie diesen Blick schon früher an ihm beobachtet, stets, wenn er etwas Außergewöhnliches sah - ein beeindruckendes Bauwerk, eine meisterhafte Skulptur oder auch nur ein besonders geschmackvolles Kleidungsstück. Womöglich habe er ja ihre Beine in diesem Sinne bewundert, erwog sie, stellte diesen Gedanken aber sofort wieder in Abrede. Was Lucia sich selbst nicht eingestehen wollte - tiefer als jene unschöne Begebenheit bewegte sie ihre dadurch zerbrochene Freundschaft.
"Ich bin fast fertig", sagte sie jetzt der gerade eintretenden Maestra, "nur noch die Eintragungen der letzten Woche."
"Va bene, in der Werkstatt und im Laden geht es auch dem Ende zu. Danach können wir uns auf Weihnachten einstimmen, denn bereits ab morgen Früh bleibt das Geschäft geschlossen." Sie lächelte nett, als sie hinzufügte: "Carlo wird sich dir dann endlich so ausgiebig widmen, wie es sich für Freunde gehört. - Ich muss wieder vor in den Laden, Lukas, die letzte Kundin wird gleich kommen."
Nachdem die Maestra die Tür hinter sich geschlossen hatte, kreisten Lucias Gedanken abermals um Carlo. Ab morgen wird er sich gewiss im Haus bei der Familie aufhalten, mutmaßte sie, eine unbehagliche Vorstellung. Wie wird er sich verhalten?
Das erlebte Lucia noch am gleichen Abend. Sie saß mit Signora Alberti, Anna und Antonio nach dem Abendbrot im Halbrund vor dem knisternden und knackenden Kaminfeuer, als sie jemanden zur Haustür hereinkommen hörte - Carlo? Ja, er redete im Korridor mit Erola. Doch statt sich dann zu seiner Familie zu gesellen, drückte er sich in der Küche herum, und bald hörte Lucia ihn gar die Stiege hinauf gehen. Sie fürchtete, er gehe bereits zu Bett, doch schon wenig später kam er die Stiege wieder herab. Jetzt trat er doch in die Kaminstube, grüßte freundlich und nahm Platz, genau Lucia gegenüber. Zwar freute sie sich über seine Gegenwart, konnte sich jedoch nicht überwinden, ihn während der Unterhaltungen anzuschauen, weshalb sie auch nicht ermessen konnte, ob er sie ansah. Jedenfalls richtete er nie das Wort an sie. Lang brauchte sie diese peinliche Situation dann nicht durchzustehen, denn die Hausfrau erhob sich bald mit den Worten: "Lasst uns heute eher Schlafengehen, schließlich haben wir morgen einiges vor."
Darauf verließen alle die Stube, und als Lucia die Stiege erreichte, erklärte ihr Carlo: "Ich begleite erst noch Erola rüber zu ihrer Wohnung."
Wieder war sie gerettet und konnte sich diesmal sogar in Ruhe für die Nacht herrichten.
Wie sie dann aber ins Bett schlupfte, erlebte sie eine Überraschung - am Fußende lag ein Wärmestein. Das also hatte Carlo vorhin hier erledigt. Ein Versöhnungsversuch? Wohl nicht, glaubte sie, wahrscheinlich beweise er sich lediglich als guter Gastgeber. Dennoch nett von ihm. Lucia streckte sich behaglich unter der Decke aus und fand sich übergangslos von Traumbildern umsponnen.
Sie schlief noch fest, als Carlo sie, fix und fertig gekleidet, anrief: "Hallo, Lukas, he, aufwachen!"
"Was . . , was ist?"
"Der Waschtisch ist frei, kannst ihn jetzt benutzen."
"Achso -
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