Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
Versöhnungsangebot. Beglückt probierte Lucia den Ring an ihren Fingern aus, er passte am linken Mittelfinger, wo sie ihn anbehielt.
Carlo befühlte gerade die von Anna selbst gestrickte Mütze, als Lucia ihn antippte, ihre Hand mit dem Silberring hochhielt und sich bedankte. Jetzt war er es, dem der Atem stockte, doch anstelle einer Äußerung drückte er ihr die Hand mit dem Ring, lange, warm und innig. Und als er seine Sprache wieder gefunden hatte, führte er sie zur Tür, wo er sie leise bat: "Verzeih mir, dass ich mich neulich so schlecht benommen habe."
"Ist schon gut."
"Du sollst auch wissen, Lukas, dass dergleichen nie wieder vorkommen wird."
Diese Versicherung erlosch den Rest ihrer Enttäuschung von ihm, weshalb sie ihm verheißen konnte: "Und du sollst wissen, dass ich diesen wundervollen Freundschaftsring niemals ablegen werde."
"Grazie, Lukas!"
Seit Heiligabend wichen sich Lucia und Carlo nicht mehr von der Seite, bei Tisch saßen sie stets nebeneinander, sie unternahmen täglich Ausritte oder Stadtbesichtigungen, und abends hatten sie sich meist bis in die Nacht zu erzählen. Ihre Freundschaft war schöner als zuvor.
Das beobachtete auch Signora Alberti und lud Lucia ein, doch auch die Ostertage zusammen mit Carlo hier zu verbringen. Lucia musste leider ablehnen, denn Alphonse hatte ihr in seinem letzten Brief nahe gelegt, sich an ihrem einundzwanzigsten Geburtstag, der etwa zwei Wochen nach Ostern lag, bei dem Advokaten ihres Vaters blicken zu lassen, um ihre Erbschaft sicherzustellen. Zu diesem Schritt war sie zwar nicht bereit, fürchtete jedoch, Alphonse würde sie am Ende doch dazu überreden. Deshalb gab sie bei Signora Alberti vor, ihr Onkel wolle Ostern und ihren Geburtstag mit ihr in Tirol bei ihrer zerrütteten Familie feiern, und diesem Wunsch müsse sie nachkommen.
"Lass den Kopf darüber nicht hängen, Lukas", versuchte Signora Alberti sie zu trösten, "meist erweisen sich gerade die Angelegenheiten, vor denen einem graut, als besonders erfreulich."
Du kannst nicht ahnen, wovon du sprichst, fiel Lucia dazu nur ein.
Dennoch beglückte Lucia Signora Albertis Angebot, das ihr bewies, wie gerne sie in dieser Familie gesehen war. Selbst Antonio vergaß ihr gegenüber zeitweilig sein Pubertätsbenehmen, und Anna, sonst so scheu, taute in ihrer Gegenwart auf.
Das bewies Anna auch heute, am Tag des kirchlichen neuen Jahresbeginns. Lucia wartete am Pferdestall auf Carlo, als Anna zu ihr trat und sie ungeniert fragte: "Warum trägst du eigentlich dein schönes dunkelrotes Haar so zusammen gedrückt und vor allem so kurz?"
"Ist das denn zu kurz?"
"Und ob. Kuck dir Carlo an, er trägt seins ganz locker und bis weit über die Schultern, weshalb all meine Freundinnen ein Auge auf ihn haben."
"Nur deshalb?", wollte Lucia diese skurrile Tatsache genauer erforschen, worauf Anna fast empört reagierte:
"Natürlich nicht nur deshalb. Vor allem, weil er ein so hübscher Bursche ist, sich adrett herzurichten versteht und immer zuvorkommend ist. Genau der Jüngling, in den sich Jungfern verlieben."
Arme Jungfern, lächelte Lucia in sich hinein, gab aber scherzend und gleichzeitig, um ihre männliche Wirkung zu prüfen, zurück: "Schön, dann lass ich mir mein Haar wieder wachsen, vielleicht finden deine Freundinnen dann ja auch an mir Gefallen."
Darauf errötete Anna ertappt und das ausgerechnet in dem Moment, als Carlo auf sie zutrat.
"Wir sprechen gerade über dein betörendes Haar", empfing Lucia ihn, um Anna aus ihrer Verlegenheit zu befreien, was Anna dankbar nutzte, indem sie klarstellte:
"No, Carlo, darüber, dass Lukas seines viel zu fest anliegend und kurz trägt. Hast du mir nicht gesagt, alle fünf Artisti in eurer Bottega hätten eine lange, volle Künstlermähne?"
'Warum nur habe ich mich zu dieser Kurzfrisur überreden lassen, war völlig unnötig!', schoss es Lucia durch den Kopf. Dann hörte sie Carlo sagen:
"Stimmt, Anna, alle fünf. Unser Maestro allerdings nicht, dessen blonde Lockenmähne ist fast so kurz wie die von Lukas, und dieser Haarschnitt steht ihm ausgezeichnet."
An ihren geliebten Maestro erinnert, strich Lucia heraus: "Ja mei halt, weil er so kraftvoll ist, ein ganzer Mann eben."
"Ja mei", äffte Anna ihr unter Kichern nach, und Lucia ärgerte sich über sich selbst, so sehr sie sich auch bemühte, sich diese Tiroler Flickworte 'mei' und 'ei' abzugewöhnen, sie rutschen ihr immer wieder heraus.
Unterdessen hatten sich am Hofeingang zwei Freundinnen von Anna eingefunden und
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