Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
Besucherecke nieder, während er bedauerte: "Ein Jammer, dass wir so selten Zeit füreinander finden, das stimmt mich trauriger als du ahnst. Auch jetzt habe ich mich für unser Gespräch vom Schlosshof wegstehlen müssen, wir sind dort mitten in der Theaterprobe, bei der ich die Regie führe."
"Bekommst du dafür Ärger?"
"No, nicht direkt", winkte er ab, "ich habe den Darstellern und mir eine halbe Stunde Pause eingeräumt. Aber jetzt zum Thema, Lukas. Wenn du übermorgen im Schlosshof erscheinst, kommst du nicht umhin, dich mehreren Höflingen mit Namen und Herkunft vorzustellen. Nicht nur das, sie werden auch mich nach meinem attraktiven Garzone ausfragen, weshalb unsere Auskünfte übereinstimmen müssen. Was also sagen wir ihnen?"
"Ganz einfach doch, ich bin Lukas de Belleville, der Sohn von Alfonso", antwortete sie, er jedoch wandte lächelnd ein:
"Ein Franzose mit Tiroler Akzent? Außerdem hält sich dein Onkel, immerhin ein angesehener Belleville, so häufig in Mailand auf, dass er einigen bekannt sein dürfte, und vom Alter her kann er ja wohl kaum dein Vater sein."
Mit beidem hatte Leonardo recht, und nach kurzem Überlegen schlug Lucia vor: "Dann gehöre ich eben jenen Bellevilles an, die im vorigen Jahrhundert nach Salzburg ausgewandert sind. Dieser Familienzweig ist kaum bekannt, und die Salzburger haben einen ähnlichen Akzent wie wir Tiroler. Oder soll ich mich besser in schlichter Kleidung als Bürgerlicher ausgeben?"
"Das würde nichts helfen, Lukas, die Höflinge würden dir auch dann deine Adelserziehung anmerken. Dein Einfall war schon gut, du bist Lukas de Belleville aus Österreich, mehr müssen wir nicht sagen. Einverstanden?"
"Si, abgemacht."
Nun nahm er mit überschlagenen Beinen und seitlich aufgelehnten Armen eine bequeme Sitzhaltung ein und erzählte ihr dann ausführlich von den Vorbereitungen im Schlosshof und auf dem Turnierplatz, vornehmlich aber von dem kleinen Lustspiel gleich zu Beginn, bei dem er mehrere Textänderungen vorgenommen habe, damit es spritziger werde. Lucia wunderte sich, wie lange er sich bei ihr aufhielt, wo er doch unter Zeitdruck stand, doch das schien er vergessen zu haben, denn er plauderte unbekümmert mit ihr weiter. Als er sich schließlich zum Gehen erhob, deutete er eine galante Verneigung an: "Grazie für diese Unterhaltung, sie war es wert, dass wir nun auf dem Schlosshof etwas länger proben müssen."
Leonardos Charme zu widerstehen war unmöglich, es war ihm gelungen, dass sich Lucia nun doch auf das Fest freute, wenngleich sie noch immer allerlei Bedenken hegte.
Um diese Bedenken etwas einzudämmen, schlug sie Carlo einige Zeit später vor, nach Feierabend in ihrer Wohnung tanzen zu üben, wozu er sofort bereit war.
Als sie dann zu diesem Zweck alle Möbel ihrer Guten Stube an die Wände gestellt hatten, erinnerte sich Lucia an den Winter vor eineinhalb Jahren, als Alphonse sie in ihrem Bozener Hotel vom Fräulein zum Don umgeschult hatte. Seine Belehrungen klangen ihr wieder frisch im Ohr, und so konnte sie sie Carlo jetzt wiedergeben. Sie brachte ihm die modernen Tanzschritte, -drehungen und -figuren bei, die sie von Alphonse gelernt hatte, und da sie mit Carlo ständig die Damen- und Herrenrolle wechselte, bekam auch sie einigermaßen ins Gefühl, wie man eine Dame zu führen hat.
Am nächsten Abend setzten sie ihre Übungen fort. Dabei wurden beide zunehmend sicherer und waren am Ende überzeugt, auf die Veranstaltung optimal vorbereitet zu sein.
Nach dem Mittagessen des Pfingstsonntags, das glücklicherweise bereits Charlottas Tochter Gina zubereitet hatte, richtete sich jeder in seiner Wohnung oder Stube für das große Ereignis her. Lucia legte sich Stück für Stück ihren grünseidenen Adelsanzug an. Dann zwängte sie ihre Füße in die weiß-goldenen Brokatschuhe, und nachdem sie schließlich den hellgrünen Hut auf ihren dunkelroten Lockenkopf gesetzt hatte, betrachtete sie ihr Spiegelbild. Die heute etwas kräftiger getönten Augenbrauen verliehen ihrem weichen Gesicht wenigstens einen Hauch von Härte, und wenn sie die Brauen zusammen zog und ordentlich mit ihren Augen funkelte, wirkte sie sogar gefährlich. Als sie noch Kind war, hatte Alphonse diesen Ausdruck als Löwenblick bezeichnet, mit dem sie bereits damals so manchen hatte verschrecken können.
Lucia bekam große Augen, als sie dann am Hoftor auf Carlo stieß, mit dem sie dort verabredet war, er sah umwerfend aus. Zwar putzte er sich seit jeher gerne als Kunststudent heraus,
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