Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
Carlo. Bernardino aber verzog sein dickwangiges Gesicht, weshalb Lucia ihm versprach, Charlotta gewissenhaft in diese Tätigkeit einzuweisen, vor allem so, dass sie niemals einen Malenden stören werde.
"Das werde ich ganz bestimmt nicht", versicherte Charlotta ihm, "Maestro da Vinci hat mir das schon erklärt. Im Atelier seid Ihr Artisti die Könige, denen ich mich dort unterordnen werde."
Darauf nickten Bernardino und Giovanni zufrieden, zumal sie einen solch unterwürfigen Ton von Charlotta noch nie vernommen hatten. Doch ihre Zufriedenheit hatte noch einen anderen Grund, Charlotta war zwar eine vorbildliche Haushälterin, jedoch eine fantasielose Köchin, deren ewigen Eintöpfe mittags niemand mehr anrühren mochte, und das würde sich mit einer gelernten Köchin ändern.
Am Ende konnte Leonardo jedem am Gesicht ablesen, dass ihm seine Überraschungen geglückt waren.
Mithin hatte Lucia für die folgende Zeit das Malatelier ganz für sich alleine, und keiner der Männer kam sie auch nur einmal für kurz darin besuchen, waren ja alle zu beschäftigt.
Inzwischen hatten sie die dritte Gesteinsfuhre so nah wie irgend möglich an die Bildhauerstätte, die schräg nach oben hinter dem Küchenhaus lag, heranfahren lassen. Alle arbeiteten mit nacktem Oberkörper, und die Langmähnigen hatten ihr Haar im Nacken zusammengebunden - jetzt beneideten sie ihren Maestro um seinen Kurzhaarschnitt.
Nach dem mühevollen Entladen konnten sie endlich beginnen, aus den Blöcken nach Carlos Entwurf die Pfeiler des Geländers herauszuhauen. Wobei der hellgrüne Staub und die Steinsplitter nur so aufstoben, und bald war das Freilichtatelier in eine Phosphorwolke gehüllt.
"Dieser Dreck schlägt sich überall nieder", jammerte Pietro, der Gärtner, "im ganzen Hofgarten. Wie soll man den jemals von allen Blättern und Gräsern wieder abkriegen?"
"Der nächste Regen wird ihn abwaschen, und mit diesem Staub erhalten die Pflanzen einen kräftigen Dung", tröstete ihn der Maestro.
Was Pietro offenbar nicht glauben konnte, man sah ihn immer wieder mit verzweifeltem Blick seine Pflanzenkinder betrachten. Aber auch die Männer selbst, alle mit Schutztüchern um den Kopf, waren jetzt von oben bis unten hellgrün, man konnte meinen, sie seien Söhne eines Phosphorplaneten.
Lucia war Leonardo dankbar, dass sie nicht mit hämmern brauchte, er hatte ihr gesagt, diese Arbeiten seien zu grob für ihre Hände. Wenn der Rummel vorüber sei, könne sie ihr Üben in der Bildhauerei wieder aufnehmen, aber an feineren Werken.
Leonardo selbst konnte sich nur wenige Tage an der hiesigen Arbeit beteiligen, Herzog Ludovico hatte ihn beauftragt, die Regie seiner bevorstehenden groß angelegten Pfingstveranstaltung zu übernehmen, weshalb er nunmehr tagtäglich, meist bis in den späten Abend hinein, auf dem Palasthof tätig war. Die Dekorationen für jene Großveranstaltung wie auch die Kostüme für die auftretenden Künstler hatte er bereits Anfang des Jahres entworfen, und jetzt übte er mit den Mitwirkenden den Ablauf des Festes ein, das mit der Aufführung einer Kurzkomödie eröffnet und schließlich mit einem Turnier beendet werden soll. Eine immense Anforderung für ihn. Doch er war verpflichtet, derartige Aufgaben zu erfüllen, da er in Herzog Ludovicos Dienst stand und ihm diese Leistungen mehr Dukaten einbrachten, als er für seine Kunstwerke je erzielen konnte. Bernardino, Giovanni und sogar Carlo alterierten sich mitunter über Leonardos Engagement im Sforzapalast, ebenso, wie sie stets ihr Gesicht verzogen, wenn sie wieder einen Privatpalazzo mit Ornamentmalerei ausstaffieren mussten. Dass jedoch ihre Bottega von diesen Geldquellen abhängig war, wollten sie nicht wahrhaben.
Während nun alle Künstler und Carlo im Bildhaueratelier schwitzend um die Wette hämmerten, genoss Lucia die Muse für ihre Malstudien - endlich! Zu ihrem Erstaunen war im Laufe des zurückliegenden Jahres unbemerkt ein neuer Malstil in ihr herangereift, der sich jetzt offenbarte, und an den sie sich regelrecht gewöhnen musste. Da sie, wie von Leonardo erwünscht, nur aus der Erinnerung oder der Vorstellung heraus malte, wobei sie das entstehende Bild nicht konkret, sondern mit dem geistigen Auge wahrnahm, erschrak sie hinterher häufig, was sie da erschaffen hatte. Zwar malte sie noch immer erstaunlich flink, auch enthielt ihr neuer Stil noch seine frühere Heiterkeit, doch es gesellte sich nun Temperament hinzu, schon Ungestüm, es war, als habe sich ihre Seele von einer
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