Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
fertig, ihre Füße schonte sie heute mit Sandalen.
Nach dem Auftritt eines Knabenchors, gefolgt von einer ergötzlichen Narreneinlage, erwarteten die Anwesenden jetzt Seiltänzer. Leonardo hatte das Hochseil von der Mitte des Hofs, über das Außentor hinaus, bis zur anderen Seite der Platanenallee spannen lassen, damit auch die vielen draußen versammelten Menschen diese Darbietung verfolgen konnten.
"Bezeichnend für unseren Maestro, er denkt stets an alle", sagte Lucia zu Carlo, was er zwar bestätigte, dennoch kam wieder eine dieser unüberlegten Bemerkungen von ihm, die Lucia zu ihrem Verdruss auch von Bernardino und Giovanni mitunter hörte, der Maestro solle doch seine wertvolle Zeit nicht mit diesem Firlefanz vergeuden. Diesmal ging sie darauf ein: "Und wovon soll dann unsere Bottega existieren?" Carlo sah sie verständnislos an, weshalb sie deutlicher wurde: "Glaubst du denn, er macht das hier zu seinem Vergnügen? Er wird doch bezahlt dafür, und mit dieser Einnahme finanziert er unsere Bottega."
"Das, no, da irrst du. - Aber schau, die Seiltänzer kommen!"
Musik ertönte und gleichzeitig erklommen vier Artisten unter Begrüßungsapplaus nacheinander die hohe Strickleiter. Doch so beeindruckend Seiltänze auch sein mochten, Lucia hatte ihnen noch nie viel abgewinnen können. Deshalb ließ sie sich jetzt allmählich von der Menschenmenge zurück drängen, denn nicht weit hinter ihnen waren Tische für das Mittagsmahl aufgestellt, das nach dieser Vorstellung serviert werden soll. Im Anschluss an das Mahl ist dann der Einzug der Turnierteilnehmer zu erwarten, und da Carlo möglichst nah am Turnierplatz einen Platz auf dem von Leonardo angepriesenen Schaupodest finden will, ist nachher Eile angesagt. Bald gelang es ihr, sich von Carlo unbemerkt fort und zu den aufgestellten Tischen hin zu stehlen, wo sie sich dann bei einer Serviererin erkundigte, an welcher Stelle nachher zuerst aufgedeckt werde.
"Genau an dem Tisch, den Ihr nachher einnehmt", gab sie kokett zurück.
Dafür schenkte Lucia ihr ein weltmännisches Lächeln und ein Silberstück.
"Grazie, Don, grazie!", wisperte die Serviererin und knickste.
In Momenten wie diesem gefiel sich Lucia in ihrer Don-Rolle. Verschmitzt grinsend konstatierte sie: 'Das wäre gesichert' und steuerte gemächlich ihren vorhin verlassenen Stehplatz an.
Erst nach Beendigung der Seiltänze stieß sie auf Carlo, der sie bereits gesucht hatte und sie nun drängte: "Jetzt aber fix zur Futterkrippe!"
Sie wählten einen Tisch, der nah am Weg zur Schautribüne lag, und ehe sich Lucia auf ihrem Gartenstuhl niederließ, hielt sie Ausschau nach der von ihr bestochenen Serviererin. Die hatte sie bereits im Auge und nickte ihr, als sich ihre Blicke trafen, unauffällig zu.
"Wie reibungslos diese Festa abläuft, wo doch ständig umgeräumt werden muss", staunte Carlo, worauf Lucia herauskehrte:
"Arrangiert alles unser Maestro."
Die Bemerkung behagte Carlo nicht, da Lucia ihn vorhin in diesem Punkt zurechtgewiesen hatte, dennoch nutzte sie die Gelegenheit, um für Leonardo eine weitere Lanze zu brechen: "Ist dir eigentlich aufgefallen, dass er, nicht anders als bei seinen Gemälden, auch bei den hiesigen Dekorationen deutlich sprechende Archetypen eingebracht hat?"
Er verneinte, wurde nachdenklich, und Lucia fuhr fort:
"Dann achte nachher bei den Kostümen der Turnierteilnehmer darauf. Ich habe die Entwürfe für diese Kleidungsstücke in seinem Atelier entdeckt und auch die dazugehörenden Beschreibungen gelesen. Du weißt ja, dass ich seine Geheimschrift entziffern kann und er mir Einblick in all seine dort liegenden Aufzeichnungen gestattet hat. Ich sage dir, die Symbolkraft dieser Kostüme kann niemandem entgehen. Mutig, was er damit zum Ausdruck bringt."
"Erzähl mir davon", bat er sie, "erkläre mir das. Gestern habe ich nämlich manchmal geglaubt, Allegorien in der hiesigen Dekoration zu erkennen, speziell in den Girlanden."
"Richtig, Carlo, und zwar in den kettenartigen Verschlingungen. - Warte."
Die Serviererin stellte ihr voll beladenes Tablett am Rand des Tisches ab und deckte ihnen dann mit ihren routinierten Händen auf. "Verschiedenes Geflügel mit Soße, Nudeln und Salate und dazu einen Krug leichten Merater, meine Edelherren", erklärte sie dabei, knickste anschließend und huschte so geschwind zurück, wie sie gekommen war.
Sie griffen zu, wobei Carlo erfreut äußerte: "Hast du gehört, sie hat Edelherren gesagt, sie hält also auch mich für einen Don."
"Fehlt nicht mehr
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