Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
Ruhmesglanz, den die Turnierkämpfer anstreben, ist damit gemeint, sondern unvergängliche Seelenschönheit."
Carlo nickte ernst: "Das müsste doch für jeden erkennbar werden. Da beweist unser Maestro wieder Mut."
"Si, darauf habe ich dich ja vorhin schon hingewiesen. Weiter habe ich in seinen Aufzeichnungen dazu gelesen, die Schilde jener schönen Reiter sollen einen großen Spiegel enthalten, damit der, der echte Gunst erlangen möchte, sich in seinen eigenen Tugenden spiegeln müsse. - Soweit die Vorhut. Dann folgen die Kämpfer, die ebenfalls mit Symbolen ausgestattet sind. Doch diese Symbole warnen ihre Träger vor Gier nach Ruhm und fordern sie zu Disziplin und Fairness auf. Soll ich sie dir beschreiben?"
"No, grazie, Lukas, lieber nachher, wenn es soweit ist."
Carlo hätte nicht anders entscheiden können, denn Lucias Schilderung war ihm so nah gegangen, dass er sie zunächst verarbeiten muss.
Unterdessen hatten sich die Bänke immer dichter gefüllt, wobei der hiesige Tribünenabschnitt wegen seiner Sicht zum Weg wie auch zur Arena natürlich bevorzugt worden war. Lucia und Carlo wurden von rechts und links immer enger zusammen gedrängt.
Jetzt näherte sich der Zug. Sichtbar war er noch nicht, da der Weg hierher einen Bogen schlug, wohl aber hörbar, das Publikum wurde von sphärischen Klängen überrascht, weshalb es verstummte. Die Klänge wurden deutlicher, und nun sah man, ohne einen Hufschlag zu vernehmen, drei weiß geschirrte Zugschimmel um die Kurve traben. Gleich darauf wurde auf dem Kutschbock der goldene Pferdelenker mit seiner strahlenden Kugel auf dem Haupt sichtbar und dann das rotgold flammende Pfingstgefährt, in dem die Klugheit und die Seelenstärke thronten. Laut- und scheinbar schwerelos glitt das Gespann dahin, da die Pferdehufe wie auch die Wagenräder mit dekorativen Tüchern umwunden waren, wodurch die feinen Flöten- und Schellenklänge, die von ihm ausgingen, weithin vernehmbar waren. Mit verzaubertem Blick schauten die Besucher dem von Sphärenklängen umwehten Gefährt nach, bis es den Turnierplatz erreichte, wo es schließlich vor der Herzogstribüne anhielt.
Indessen kamen die zwölf eleganten Reiter mit ihren Pfauenfedernumhängen angeritten, und nun wurden staunende Bekundungen hörbar: "Wie schön." "Herrlich, einfach herrlich."
Die Reiter zeigten allesamt freundliche Mienen, blickten jedoch nie ins Publikum, sondern stets geradeaus, was dem Herrn neben Carlo zu der Äußerung bewog: "Bei aller Schönheit sind sie nicht die Spur eitel."
Carlo glaubte, ihm erklären zu müssen: "Damit wäre auch ihr Reiz dahin", dann zu Lucia gewandt, "und die Spiegel in ihren Schilden würden ihren Glanz einbüßen."
Lucia nickte zustimmend und freute sich, wie gut Carlo diese Symbolik verstanden hatte.
Ein weiterer Gedankenaustausch war nicht möglich, da die Stimmung mit einem Schlag umschwang. Die nahenden Fanfarenklänge kündeten den eigentlichen Turnierzug mit seinen Kämpfern an, dem alle entgegenfieberten. Bis auf Lucia. Selbst in Carlos Blick geriet wieder dieses Flackern, und als die Fanfarenbläser in ihr Sichtfeld marschiert kamen, schossen Carlo wie auch alle anderen von ihren Sitzplätzen hoch. Nun hatten sie gerade eine solch erhebende Ouvertüre erlebt, doch kaum roch es nach Wettstreit, entflammte in den Männern Kampffeuer. Unmöglich für Lucia, das nachzuempfinden, was sie sich natürlich nicht anmerken lassen durfte, und so täuschte sie Begeisterung vor.
Als schließlich auf ihren stolzen Rössern die achtundvierzig noch stolzeren lombardischen Ritter auftauchten, reckte sich Lucia zu Carlos Ohr hoch und fragte ihn, ob sie ihm die Symbolkraft ihrer Ausstattung erklären soll. Er winkte ab, hatte nur noch Augen für die ruhmreichen Ritter, doch einen Moment später rang er sich zu einer hastigen Antwort durch: "No, will ich selbst rausfinden."
Der Beifall, verbunden mit euphorischen Zurufen, wurde ohrenbetäubend, als dann die prächtig gekleideten Ritter nacheinander vorbeizogen, und jedesmal, wenn ein besonders glorreicher Held nach rechts und links ins Publikum nickte, grölten die Zuschauer mit hochgerissenen Armen zu ihnen hinab: "Sieg und Gloria!", "Salve, edler Ritter, Salve!", "Heil, Euch Ruhmreichen!", "Salve! Salve!"
Lucia, die mit ihrer herab gedrückten Stimme wacker mitbrüllte, musste ihre Ellbogen einsetzen, um nicht zerquetscht zu werden oder unbeabsichtigte Hiebe abzubekommen, denn die Kampfstimmung artete immer weiter aus. Wie soll das erst während des
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