Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
Farbenfreude verleiht Venus ebenfalls, überlegte sie jetzt und beschloss zum wiederholten Mal, sich endlich auch farbige Kleidung schneidern zu lassen, alleine schon, um gegen die Künstler nicht mehr so bieder abzustechen. Wie aber soll sie das mit ihrem weiblichen Körper zu Wege bringen? Schließlich müsste ein Schneider dazu ihre Körpermaße nehmen.
Zweieinhalb Tage hatten sich die vielen verschiedenen Gäste in der da Vinci-Bottega an den Kunstwerken und Gaumenfreuden erlabt, und jetzt, gegen Abend des dritten und letzten Tages, trafen nur noch vereinzelte ein. Unter ihnen auch der sechzehnjährige Garzone Michelangelo, dem es vorwiegend das Freilichtatelier angetan hatte, von dem er sich nicht mehr trennen mochte. Dort unterhielt er sich ausgiebig mit Carlo über Bildhauerei und berichtete ihm, er entwerfe momentan in Florenz ebenfalls einen Treppenaufgang, weshalb er dankbar für die Anregungen sei, die er hier gefunden habe.
Außer Michelangelo und seinem Maestro waren jetzt nur noch die aus Rom angereisten Maestri Pinturicchio und Perugino hier, die bereits eine geraume Zeit gemeinsam mit Leonardo, Bernardino und Giovanni vor der Blockhausterrasse saßen. Die Dämmerung ließ bereits alle Farben verblassen, als sich die Herren erhoben und Leonardo Lucia herbei winkte. Ihren letzten noch immer leicht humpelnden Schritten trat Leonardo entgegen und trug ihr auf, Michelangelo herzubitten, sein Maestro wolle mit ihm zurück zum Schloss reiten.
"Gib bloß acht bei diesem Jungen", warnte Leonardo sie dann mit verhaltener Stimme, "ja kein unüberlegtes Wort, er ist noch empfindlicher als Carlo."
"Oh, Mamma mia!"
Bei Michelangelo schließlich angelangt, richtete Lucia ihm den Wunsch seines Maestros aus, worauf er und Carlo umgehend mit ihr zum Blockhaus gingen. Michelangelo war von kräftiger Gestalt, war nicht gerade hübsch, da sein Gesicht eine gebrochene Nase verunstaltete, doch in seinen braunen Augen flammte ein solches Künstlerfeuer, dass es Lucia eben fast geschwindelt hatte. Auf Leonardos Rat richtete sie kein Wort mehr an ihn, er aber sprach sie jetzt vorsichtig an: "Ich habe deinen Namen vergessen, wenn ich fragen darf, wie heißt du?"
"Lukas."
"Lukas", wiederholte er, "richtig. Du bist mir schon gestern bei der Begrüßung aufgefallen, und in eurem Malatelier habe ich dann vergeblich nach Bildern von dir gesucht."
"Die taugen eh nichts", entgegnete sie, worauf er stehen blieb, auch sie zurückhielt, sie tief mit seinen Glutaugen anblickte und widersprach:
"Das kann nicht stimmen, Lukas. Du sprühst vor Seelenkraft, verbunden mit Zartheit, und das drückt sich mit Sicherheit in deinen Gemälden aus."
Lucia fühlte sich von diesem jungen Burschen nicht nur durchschaut, sondern auch zurechtgewiesen, und als sie ihren Weg fortsetzten, erklärte sie ihm: "Ich muss noch gehörig üben, weißt du?"
Carlo aber, so gut er es auch meinte, fiel ihr in den Rücken: "Deine Aussage trifft genau zu, Michelangelo. Lukas hat vergangenes Jahr ein Rosenbild gemalt, so lebendig und dennoch zart, dass wir alle sprachlos darüber waren. Er aber hat es unzufrieden mit dem Gesicht an die Wand gelehnt, und so steht es noch heute da."
Zu Lucias Erleichterung ging Michelangelo darauf nicht ein, stattdessen brachte er, kurz bevor sie bei den Gästetischen anlangten, ehrfurchtsvoll hervor: "Euer Maestro hat überragende Fähigkeiten. Mein Besuch hier hat mich vieles gelehrt."
Die Gäste hatten sich dann bald verabschiedet, gleich drauf auch Bernardino und Giovanni. Pietro sowie die beiden Knechte suchten ihre Stuben auf, und Carlo, der Ritterliche, begleitete Charlotta und Gina nach Hause.
Blieben nur noch Lucia und Leonardo, die den heutigen Tag gemeinsam mit Carlo auf beschauliche Weise ausklingen lassen wollen. Dazu hatte Leonardo aus dem Keller einen hohen Krug Wein besorgt, während Lucia drei Becher auf dem Terrassentisch verteilt und die Windlichter angezündet hatte, wodurch die Terrasse nun in ein romantisches Licht getaucht war. Leonardo schob Lucia wie einem Fräulein einen der Gartenstühle zurecht, und nachdem sie sich darauf niedergelassen hatte, nahm er ihr gegenüber auf der anderen Tischseite Platz. Nicht zum ersten Mal erwies er ihr derartige Höflichkeiten, doch stets, wenn niemand zugegen war. Jetzt wollte er von Lucia erfahren, welchen Eindruck sie von Michelangelo gewonnen habe.
"Einen nachhaltigen", antwortete sie. "Zunächst dachte ich, einen Bellesigna vor mir zu haben, wegen seines Blicks, doch der
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