Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
bereits gedeckten Frühstückstisch zurechtsetzten, erklärte Madame Rodder ihrer Tochter in ihrem flinken Südfranzösisch:
"Ich habe es nicht mehr ausgehalten, musste dich unbedingt sehen, wer weiß, wann du mich erst besucht hättest."
Gleich darauf erkundigte sie sich bei Lucia, ob sie gut geschlafen habe, wie es ihr gehe und wem sie in Meran Besuche abstatten wolle. Lucia konnte kaum antworten, so sprudelten ihr die Worte von den Lippen. Ihre Maman, wie sie sie von ganz früher her kannte. Alphonse hatte recht, sie schien kein Opium mehr zu nehmen. Dafür sprach außerdem ihr klarer Blick, und sie war rundlicher geworden, selbst im Gesicht. Dadurch erkannte Lucia nun zum ersten Mal, wie sehr sie und Alphonse sich ähnelten, auch wenn das Haar ihrer Mutter bedeutend heller war, aschblond. Endlich konnte sie ihre Mutter fragen, inwieweit sich Vater denn inzwischen beruhigt habe, worauf sie von ihr erfuhr, er sei bis vorhin noch nicht zurückgekehrt, sie vermute, er schimpfe sich bei seinem Bruder Andreas aus. Andreas wohnte wenige Meilen entfernt westlich von Meran in seinem Vintschgauer Heimatdorf Latsch.
"Ich will mit Vater reden", verkündete Lucia ihr jetzt. "bevor ich mit ihm wegen des Erbes nicht einig geworden bin, reise ich nicht ab. Wenn es erforderlich wird, kann er einen Teil des Erbes von mir bekommen, jedenfalls will ich mich nicht wieder im Gram von ihm trennen."
Nach diesen Worten schauten ihre Mutter und Alphonse sie betroffen an, sie wussten, dass Lucia nie etwas scheute, um ihr Ziel zu erreichen. Dennoch versuchte Madame Rodder, ihre Tochter zur Vernunft zu bringen: "Das Beste, du fährst nach dem Frühstück mit mir nach Hause, vielleicht änderst du dann deine Meinung."
"Wieso?"
"Komm einfach mit, ma Chère, oui?"
Ansich wollte Lucia nach dem Frühstück die hiesige Kunstwerkstatt Schnatterpeck aufsuchen, doch den Bellwillhügel und mehr noch ihr Elternhaus wieder zu betreten, reizte sie dann doch mehr. So sagte sie nach kurzem Überlegen zu. Darüber strahlte ihre Mutter und bat sie sogleich, dann aber bei den Domestiken über ihre Adoption zu schweigen, sie möge einfach erklären, als Erbin und Nachfolgerin ihrer Großeltern habe sie ihren mütterlichen Familiennamen de Belleville angenommen, was ja im Grunde der Wahrheit entspreche.
Alphonse wollte die Damen nicht begleiten, um nicht noch mehr Unfrieden im Hause Rodder auszulösen. So verließen Mutter und Tochter alleine den Gasthof, und auf der Straße wartete vor einer eleganten Damenkutsche Gottlieb, Madame Rodders Kutscher, den Meister Rodder gestern nach seinem Aufstand vor der Kanzlei Schautze auf der Straße hatte stehen lassen. Gottlieb konnte seine Freude nicht verhehlen, als er Lucia sah, begrüßte sie jedoch mit einer zurückhaltenden Verneigung, wie sich das für einen Kutscher ziemte.
Auf der Fahrt kündete Madame Rodder Lucia an, ähnlich erfreut wie eben Gottlieb, werden sie alle Domestiken empfangen. Sie seien in den vielen Monden ihrer Abwesenheit in großer Sorge um sie gewesen, immerhin habe sie bis zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag als vermisst gegolten, was die gräulichsten Gerüchte mit sich gebracht habe. Besonders gegrämt um sie habe sich Madame de Lousin - sie war die stellvertretende Hausfrau des Bellwillanwesens, die Lucias Großeltern aus Frankreich mit hierher genommen hatten -, doch in ihrer vorbildlichen Art habe sie sich ihren Kummer vor dem Gesinde niemals anmerken lassen. Anschließend erzählte sie ihrer Tochter, sichtlich amüsiert, von ihrer neuen Hausmaid Gerda, die ihrem Mann, also Meister Rodder, ständig schöne Augen mache.
Überdies hatten sie den Hügel erreicht, fuhren den waldigen Weg hinauf, und vor dem mächtigen, dunkelgrauen Herrenhaus hielt Gottlieb schließlich die Pferde an. Lucia wollte erfahren, weshalb sie nicht bis zu ihrem Haus führen, doch ihre Mutter verließ bereits die Kutsche, und als auch Lucia ausgestiegen war, nahm ihre Mutter sie bei der Hand: "Erst komm mit rein."
Nachdem sie die Stufen hinauf und dann durch das von Säulen umfasste Eingangsportal in den Vorplatz getreten waren, empfing sie Madame de Lousin und schloss Lucia sogleich in die Arme: "Mademoiselle Lucia - ma petite Lucia!" Sie hielten sich lange umschlossen, wobei Madame de Luisins Kajal geschminkte Augen bedenklich feucht wurden. "Bleibt Ihr jetzt hier, gnädiges Fräulein? Geht nie wieder fort von uns?", fragte sie Lucia, worauf Madame Rodder an Lucias Stelle klärte:
"Das wollten wir gerade
Weitere Kostenlose Bücher