Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
bezeichnen musste. Dass ihm die durch Herrn Schautzes angeregte Aussicht auf die Nachfolge seines verstorbenen Schwiegervaters zu Kopf gestiegen war, war ihm nicht mal zu verübeln. Denn letztendlich war er ein tapsiger Bär, der um sich schlug, wenn er sich verfangen hatte und sich ohne fremde Hilfe aus seiner Situation nicht mehr befreien konnte. Allerdings verkannte Lucia nicht, dass gerade dieses blind um sich Schlagen einen Bären so gefährlich macht.
Während Lucia nun umsich blickend durch ihre neuen Räume schritt, erkannte sie erfreut, dass ein Teil der Einrichtung aus den zierlich eleganten Möbeln ihrer verstorbenen Großmutter stammte. In ihrer Schlafstube, wie angenehm, waren ausschließlich ihre eigene Möbel verteilt. Gänzlich neu eingerichtet hingegen waren ein freundlicher Besuchsraum sowie ein Toiletten- und Umkleideraum mit einem Waschtisch sowie zwei riesigen Wandkästen, in denen ihre Garderobe verteilt war, die ihre Maman zu Lucias Überraschung mit einigen modernen Unter- und Übergewändern, mit Tüchern, Schauben und Hüten etwas bereichert hatte.
Wie sie dann den Korridor entlang ging, trat ihre Mutter ihr entgegen und erkundigte sich, ob sie hier am Mittagsmahl teilnehmen wolle, dann könne sie auch Justus begrüßen.
Lucia lehnte ab: "Non, Maman, womöglich trifft ja auch Vater ein, und ihm will ich heute absolut nicht begegnen, das könnte ich nicht auch noch verkraften. Besser, ich verabschiede mich jetzt."
"Naturellement, ma Chère", verstand sie, ließ für Lucia ihre Kutsche vorfahren und vereinbarte dann mit ihr, dass sie morgen wieder an ihrem Frühstück im Gasthof Bruegel teilnehmen wird.
Um nicht in finsteres Grübeln zu geraten, betrat Lucia nach ihrer Rückkehr nicht den Gasthof, sondern entschloss sich zu einem Waldspaziergang. Langsam schritt sie den Berghang hinauf, und bereits als sie die ersten Kiefern erreichte, umfing sie wohltuende Frische. Mit tiefen Atemzügen nahm sie den erlabenden Nadelduft in sich auf, wodurch ihr Gemüt sogleich ruhiger und ihr Kopf klarer wurde. Wie oft hatte sie früher dieses lebendige und doch so stille Waldleben genossen. Das Herrenhaus lag ebenfalls an einem Hang, es war ringsum von einem Blütengarten umgeben, dem sich auf der Vorderseite den Hang hinab ein Park mit Teich anschloss, und der Park ging schließlich in einen Mischwald, den Bellwillforst über. In jenem Forst hatte Lucias Großvater zu ihrem Leidwesen häufig Jagden veranstaltet und damit das dortige Waldleben geschändet, wovon sich der Forst bis heute noch nicht erholt hatte. Der hiesige Wald dagegen war friedlich, hier fühlte man das Weben der Natur, hier herrschte Wohlbefinden und Gedeih.
Womöglich könne sich der Bellwillforst ja wieder erholen, kam Lucia jetzt in den Sinn, das müsse doch möglich sein. Sie nahm sich vor, mit Herrn Thorjan, dem Förster des Bellwillanwesens, darüber zu reden. Meister Rodder waren derartige Gedanken fremd, sie gingen über Farbherstellungen selten hinaus, seines Erachtens wurde alles Leben auf dem Bellwillhügel einzig von seiner Farbproduktion finanziert. Nein, er war nicht der Mensch, dieses Werk zu leiten, wurde Lucia nun noch deutlicher, und es wäre verantwortungslos von ihr, ihm davon einen Teil zu überschreiben oder ihm auch nur irgendwelche geschäftlichen Rechte zu übertragen. Es müsse auch ohne ein solches Entgegenkommen eine Versöhnung zwischen ihnen möglich sein.
Ihr Mann sei noch immer nicht zurück gekehrt, berichtete Madame Rodder Lucia und Alphonse am nächsten Morgen beim Frühstück, und Madame de Lousin habe erfahren, er halte sich tatsächlich in Latsch bei seinem Bruder Andreas auf, in dessen Haus auch seine Mutter lebte. Lucia bedauerte dass Alphonse darauf drängte, morgen Früh die Rückreise anzutreten, er wollte seine Claire nicht zu lange warten lassen. Somit bestand heute die letzte Chance für Lucia, vor ihrer Abreise noch ein klärendes Gespräch mit ihrem Vater zu führen.
Deshalb begleitete Lucia ihre Mutter nach dem Frühstück abermals zum Bellwillhügel. Während der Fahrt sprach sie ihre Mutter auf Alphonses plötzlich so verändertes Verhalten an, zu dem auch gehöre, dass er den Wein meide, wahrscheinlich, seit er Claire kenne.
"Das wäre ein Segen", seufzte ihre medizinkundige Mutter, "denn dieser übermäßige Weingenuss scheint bereits seine Nieren angegriffen zu haben, so grau und aufgedunsen, wie er in letzter Zeit aussieht. Außerdem versucht er, sich seine Rückenschmerzen nicht
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