Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
anmerken zu lassen. Hat er denn Entzugserscheinungen? Also, Schweißausbrüche, Händezittern und Übellaunigkeit?"
Lucia überlegte: "Schweißausbrüche ja, und gereizt ist er in letzter Zeit auch häufig. Ganz ungewohnt an ihm."
"Oui, das sind Entzugserscheinungen. Doch so unerträglich die sind, und ich weiß sehr gut wovon ich da spreche, nur wenn er diese Marterphase durchsteht, können sich seine Nieren wieder erholen. Nun, ich bin überzeugt, er wird es schaffen."
"Das bin ich auch, denn mir scheint, für seine Claire nimmt er alles auf sich."
"Nicht nur für Claire", kam es Madame Rodder darauf fast wehmütig über die Lippen, wobei sie ihre Tochter mit einem zärtlichen Blick streichelte.
Dann wollte sie von Lucia erfahren, ob sie unter Halsschmerzen leide, sie spreche so heiser. Darunter litt Lucia zwar nicht, aber, kurios, solange sie als Lukas ihre Stimme gesenkt hatte, war ihr Hals friedlich geblieben, doch wenn sie hier nun versuchte, mit wieder heller Luciastimme zu sprechen, wurde er kratzbürstig. Offenbar hatten sich ihre Stimmbänder an die tiefere Tonlage gewöhnt. Ihre Mutter versprach, ihr nachher einen heilsamen Tee und etwas zum Gurgeln für sie zu besorgen, damit werde sich ihre Heiserkeit bald verlieren. Nach den Folgen, die der Keuschheitsgürtel bei ihr angerichtet hatte, erkundigte sie sich zu Lucias Enttäuschung nicht, aber das Bellwillhaus geriet bereits in Sicht, weshalb die Zeit für dieses heikle Thema zu knapp geworden war.
Sie hatten kaum die Kutsche verlassen, als Madame de Lousin ihnen entgegentrat, um ihnen mitzuteilen, Meister Rodder sei noch immer nicht eingetroffen. Darauf kündete Lucia ihrer Mutter an: "Dann gehe ich jetzt zur Produktion und hole uns Justus her."
"Aber er darf erst zur Mittagspause kommen", wandte Madame Rodder ein, worauf Lucia sie lachend erinnerte:
"Das habe ja nunmehr ich zu bestimmen."
"Richtig", lachte nun auch sie, "und jeder dort weiß das seit gestern, und jeder weiß auch um deinen neuen Nachnamen. Dann vite, vite, ma Chère, damit ich nicht so lange auf euch warten muss."
"Oui, Maman, ich fliege."
Rechts durch den Blütengarten an der Vorderfront des Hauses vorbei, wandte sich Lucia an dessen Ende nach links und eilte von da aus über den leicht bergauf führenden Steinplattenweg. Stets entlang des nach hinten lang gestreckten Hauses mit seinem Seiteneingang, immer weiter, und nachdem sie noch den Hintergarten passiert hatte, gelangte sie nach wenigen Schritten auf den mit Eichen und Linden bewachsenen Gipfel. Während sie dort auf festgetretener Erde ihren Weg fortsetzte, sah sie bereits zwischen den Baumstämmen das beige getünchte Fabrikationsgebäude durchblinken, und nach ein paar weiteren Schritten drangen durch die vielen aufstehenden Fenster die vertrauten Mörser- und Malgeräusche der Geräte zu ihr her. Sie hielt inne, um sich alledem einen Moment hinzugeben. Von den sieben Werksgebäuden war dies ihres Großvaters Lieblingskind gewesen. Es war als erstes errichtet und dann immer weiter und besser ausgebaut worden. Heute war es fast dreißig Schritt lang und halb so breit.
Nun trat in seinem hellgrauen Arbeitsanzug Lucias einstmaliger Kollege Franz aus dem Seitenausgang der Fabrikation, weshalb sie im Schutz der Bäume ihren Weg fortsetzte. Kaum war sie dann durch die Haupttür in das innen ganz und gar weiß ausgekachelte Gebäude getreten, hielten die hierin Beschäftigten rechts und links von ihr und der Reihe nach von vorne nach hinten mit ihrer Arbeit ein, bis alle Geräte stillstanden.
"Grüß Gott, meine Freunde!", rief Lucia sie an, worauf diese erfreut zurückgrüßten, auf sie zukamen und ihr nacheinander, aber auch durcheinander bekundeten:
"Wie schön, dass Ihr wieder da seid!" "Willkommen, Fräulein de Belleville!" "Wir haben es gar nicht glauben können!"
Lucia wollte sie bitten, sie weiterhin mit Vornamen anzusprechen, wusste jedoch im nächsten Moment, dass dies ein Fehler wäre und ließ es, wie es war. Dann ertönte doch ihr Vorname:
"Lucia - hallo, Lucia!", rief Justus von ganz hinten zu ihr her.
Sie eilten aufeinander zu, Lucia hob die Arme an, ließ sie aber rasch wieder sinken, denn ein Dreizehnjähriger will ja nicht mehr umarmt werden.
Dafür staunte sie ihn an, als sie sich erreicht hatten: "Bah, bist du groß geworden, reichst mir ja schon bis zum Kinn! Und diese breiten Schultern!"
Das kam an bei ihm, und er sprach ihr ebenfalls ein Kompliment aus: "Du bist noch hübscher geworden! Mei, diese neue Frisur
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