Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
Buchenwände, -böden und -treppen gepflegt wurden, es war das einzige, das ihr in diesem Haus je gefallen hatte. Schön, bis auf die vielen Topfpflanzen, die sie hier all überall eigenhändig stets verteilt und gehegt hatte, von denen sie nun allerdings nicht eine mehr entdeckte - och, Vater!
Im Erdgeschoss wie auch im ersten Stockwerk freuten sich die Kontoristen ebenso sehr über ihr Erscheinen, wie bisher jeder in den Werksgebäuden. Umso verhaltener fiel am Ende der Empfang im zweiten Stockwerk, in der Betriebsleitung aus, deren Oberhaupt immerhin nach wie vor Lucia war. Trat man hier durch die Eingangstür, so lagen rechter wie linker Hand des Vorplatzes je drei Räume, und an der Hinterfront stach eine aufwendig beschnitzte Tür ins Auge, versehen mit einem Messingschild, auf dem 'Betriebsleiter Rodder' zu lesen war. Lucia musste schlucken. Dann las sie auf dem Schild der links daneben liegenden Tür: 'Stellvertretender Betriebsleiter Schmalhover'. Darauf wandte sie sich Stirn runzelnd ab, denn zu ihrer Zeit hatte dieses Kontor ihr tüchtiger Assistent Herr von Lasbeck inne, den ihr Vater bald nach ihrem Verschwinden eigenmächtig entlassen hatte. Inzwischen hatte die Empfangsdame, Frau Leitner, alle neun hier Tätigen heraus auf den Vorplatz gebeten, um Fräulein de Bellville zurück zu empfangen. Lucia begrüßte sie freundlich, erhielt jedoch nur scheue Erwiderungen aus verstörten Gesichtern. Eine unangenehme Situation, der Lucia ein rasches Ende bereitete. Sie bat ihren früheren Sekretär, Herrn Hoyer, sie in ihr Kontor zu begleiten. In ihr Kontor, hatte sie gesagt, nicht in das ihres Vaters, was bei den hier Versammelten ein kaum vernehmliches Raunen auslöste.
Trotz ihrer Anspannung betrat Lucia wie selbstverständlich mit Herrn Hoyer jenes repräsentative Reich, das Meister Rodder gerne weiterhin in Beschlag nehmen würde. Hinten in der Besprechungsecke ließ sie sich auf einen der Polsterstühle nieder und bat Herrn Hoyer ebenfalls Platz an. Während sie dann ein paar Höflichkeiten miteinander austauschten, gewann Lucia den Eindruck, er wolle ihr etwas mitteilen, das er nicht auszusprechen wagte. Doch sie beging nicht den Fehler, ihn diesbezüglich anzuregen, da er derzeit der Sekretär ihres Vaters, also dessen Vertrauensperson, war. Stattdessen brach sie ihr Gespräch bald ab, mit der Begründung, sie wolle die in der Betriebsleitung herrschende Unstimmigkeit nicht noch verschärfen. Darauf begleitete Herr Hoyer sie mit entschuldigenden Worten für ihren hiesigen Empfang aus dem Kontor und von dort über den Vorplatz bis hinaus vor die Tür der Betriebsleitung. Von da aus schaute er ihr noch beim Hinabsteigen der Holztreppe nach, wobei Lucia förmlich spürte, wie es ihn drängte, sie zurück zu bitten.
Nachdenklich schritt sie dann über das Werksgelände zum Bellwillanwesen hin, gefolgt von etlichen hoffnungsvollen Blicken der Werksangehörigen, die sie natürlich nicht wahrnehmen konnte.
Auf dem Anwesen hielt sie Ausschau nach der Bellwillkarosse. Sie war nirgends auszumachen, weder vor dem mit Säulen flankierten Treppenaufgang zum Eingangsportal des Herrenhauses, noch vor dessen etwas schlichterem Seiteneingang. Darauf strich sie suchend über das ganze weite Gelände und sah am Schluss in der Kutschenhalle nach - nichts, die Karosse war nicht da, ihr Vater war noch immer nicht zurückgekehrt.
Der Nachmittag war bereits vorgerückt, Lucia musste zurück zum Gasthof. Wollte aber nicht. Für einen Moment erwog sie, in Mailand die Zelte abzubrechen, um hier zu bleiben, doch dieser Gedanke verflog, wie er gekommen war. Während sie schließlich langsamen Schritts durch die Gartenanlage auf das Herrenhaus zutrat, kam ihr aus dem Seiteneingang ihre Mutter entgegen und erkundigte sich: "Deinem Gesicht nach willst du dich verabschieden, oui?"
"Oui, Maman, leider."
Darauf führte Madame Rodder sie zur Vorderseite des Hauses, wo bereits Gottlieb mit der Damenkutsche für sie bereit stand, und bevor sie ihn erreichten, kündete Madame Rodder ihrer Tochter an, sie komme morgen Früh wieder in ihren Gasthof, erst dann würden sie sich endgültig voneinander verabschieden. Sie drückten sich die Hände, dann half Gottlieb Lucia galant beim Einsteigen.
Lucia war unwohl, und wie sie den Hügel hinab fuhren, schnürte sich ihr heiserer Hals immer dichter zu. Wer weiß, wann sie wieder hierher komme. Sie versuchte, sich auf Mailand zu freuen, stellte sich Leonardo, die Künstler und Carlo vor, doch das half
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