Hexenlicht
Instrumente zu verbergen, war es leid, sich dem Willen anderer zu beugen, auch derer, die sie liebte.
Mögen mir die Winde des Ostens Flügel verleihen.
Mögen mir die Feuer des Südens Leidenschaft geben.
Mögen mir die Meere des Westens Leben schenken.
Mögen mir die Steine des Nordens Stärke bringen.
Göttin und Gott, hört mein Gebet und macht mich frei!
Die kurze scharfe Klinge leuchtete wie Sternenlicht, die vertraute Form lag wohltuend in Hollys Hand. Sie brachte ihre geistige Ausgeglichenheit zurück.
Ja, sie kannte dieses Messer, wusste, wie sie es benutzen sollte. Es gehörte ihr.
Eine neue Gefasstheit dämpfte die Wirkung des Giftes, minderte die Macht des Vampirzeichens.
Das Messer war gerade.
Elegant.
Scharf geschliffen und echt.
Im Geiste nahm Holly es in die Hand und benutzte es, um ihren Willen zu befreien. Das Netz des Zeichens fiel ins Nichts, löste sich in fahles Licht auf, bevor es endgültig verpuffte.
Oh, Göttin!
Hollys Magen entkrampfte sich, und zum ersten Mal, seit Mac auf ihrer Veranda aufgetaucht war, holte sie richtig tief Luft. Zu ihrer Überraschung brannten Tränen in ihren Augen, und sie zitterte vor Kummer und Erleichterung. Nun konnte sie gehen, wohin sie wollte, denn ihr Wille gehörte wieder ganz allein ihr.
Eigentlich hätte nicht einmal eine mächtige Hexe fähig sein dürfen, den Zauber des Giftes zu brechen. Holly war also mit einer raren Gabe gesegnet. Bebend vor Glück sank sie an die Wand.
Danke!
Zeit, zu handeln! Langsam betrat sie das Zimmer und versuchte, alles zugleich zu erfassen. Von dem Portal war nur eine wirbelnde, kürbisfarbene Kugel in der Größe eines Gullydeckels übrig. Aus ihr sickerte Ektoplasma wie der Sabber aus einem Neufundländer. Im Zimmer roch es nach verbranntem Toast.
Dann hörte Holly das Schaben eines Schuhs hinter sich.
Sie drehte sich ruckartig um und blickte in die schattigen Winkel. Ein ängstlicher Schauer lief ihr über den Rücken, und sie verfluchte die Dämmerung, die sie kaum etwas erkennen ließ.
»Hallo, Holly.«
Die Worte, die Stimme waren zu bekannt. Während sie sich abermals umdrehte, schnürte ihr der Schreck den Brustkorb zu. Dieselbe Begrüßung hatte sie zu oft gehört, unter anderem als liebevolles Flüstern in der Dunkelheit.
Ben stand in der Tür, bewaffnet.
Hollys Kehle verengte sich, bis sie fast nicht mehr atmen konnte. »Was zum Hades machst du hier?«
»Mich sehr still verhalten und hoffen, dass die Monster mich nicht finden. Aber sieh einer an, du bist hier!«
»Rede!« Ihr Geduldsfaden zerriss wie nasses Papier. »Ich puste dir den Kopf weg, wenn du es nicht tust!«
Ben starrte sie trotzig an. »Ich habe eine Waffe – mit Silberkugeln.«
Darauf hob Holly nur ihre Hand und wackelte mit den Fingern. »Ich habe meine Waffe schon entsichert.«
»Hexe!«
, raunte er, den Mund angewidert verzogen.
»Wieso bist du hier, Ben? Dieses Haus hat dich beinahe umgebracht.«
»Ich bin hier, weil die Wächter sich gegen mich verbündet haben. Sie haben mir mein Buch weggenommen. Das ist unfair, denn ich habe viel Geld dafür bezahlt!«
»Das Buch der Lügen?
Du hast es gekauft?«, fragte Holly ungläubig. Ja, na klar, seine Familie besaß das nötige Kleingeld.
»Das habe ich, und die Wächter waren hinter dem Ding her – und hinter mir –, seit die Dämonin durch das Portal gekommen ist.« Er blickte auf die Waffe in seiner Hand. »Ich wollte den Wächter zwingen, es mir wiederzugeben, aber ich …«
Er brauchte den Satz nicht zu beenden. Holly wusste, dass Ben nie sonderlich mutig gewesen war. Im Leben würde er dem Wächter nicht entgegentreten.
Er seufzte. »Ich wollte mich hier verstecken. Das Haus kennt mich. Ich habe schon früher mit ihm verhandelt.«
»Verhandelt? Was hast du denn, das das Haus wollen könnte?«
Ben schwieg und nahm die Waffe herunter. Sein Gesichtsausdruck wirkte komisch, irgendwie verkniffen.
Dann begriff Holly. Ben war einer der Verbindungssponsoren, die das Flanders-Haus von Raglan gekauft hatten.
Und das Haus braucht Leben.
»Die Studentenverbindung? Du hast die Leute hierhergeführt? Du … Warum zum …« Holly würgte, weil ihr die Luft wegblieb.
»Warum?«
Sie atmete angestrengt. »Was machst du denn, Ben?«
»Was ich tun muss.«
»Aber
wieso
?« Hollys Gedanken überschlugen sich, ehe sie sich einer nach dem anderen zu einem vollständigen Bild zusammenfügten. Der Schleim hatte ihm wider Erwarten nichts getan. Und Hollys Bücher über
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