Hexenlicht
wollte diesen Todesengel, wie sie noch nie etwas gewollt hatte. All ihre Vorsicht hatte sie komplett vergessen, wie auch sämtliche Gründe, weshalb sie eine Grenze zwischen ihnen beiden ziehen musste.
Manchmal war sie schlicht zu blöd zum Leben.
Aber ich will ihn!
Holly sog die kalte Pazifikluft ein und spürte den Wind auf ihren Wangen.
Ich kann ihn nicht haben.
Der Kuss war weit über alles hinausgegangen, was sie geplant hatte. Sie hatte nicht erwartet, dass er mit solchem Elan reagierte, noch dazu war da mehr als Blutdurst in seinen Augen. Sie erkannte die verwirrte Hitze und Hoffnung eines ganz normalen Liebhabers darin.
Wer weiß?
Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht. »So gern ich das hier auch täte, Holly, ich bin gefährlich. Und du hast ein gutes Leben. Du brauchst mich nicht – nicht so.«
»Ich …«, begann sie, verstummte jedoch gleich wieder, weil sie die Resignation in ihrer Stimme erkannte und nicht wusste, was sie damit anfangen sollte. Sie legte eine Hand auf seinen Arm. »Es tut mir leid.«
»Muss es nicht.« Plötzlich war er unruhig und trat von einem Fuß auf den anderen. Sie blickte sich um, was dort los war, aber alles schien wie vorher. Was auch immer ihn beunruhigte, kam aus seinem Kopf. Zweifel? Bedauern? Verlegenheit?
Typisch Mann! Erst angestürmt kommen und dann fliehen!
Anscheinend änderte Unsterblichkeit nichts an grundlegenden Geschlechtereigenarten.
Was wiederum ein zweischneidiges Schwert wäre.
»Ich muss wirklich los«, erklärte er rasch und senkte den Blick. »Ehrlich! Es tut mir leid.«
»Kannst du mich vielleicht nach Hause fahren? Ich weiß nicht, ob ich fahren sollte.«
Was über sein Gesicht huschte, sah nach Panik aus, gefolgt von … Verlangen? »Mir ist klar, dass ich es dir selbst angeboten habe, aber frag bitte einen der Polizisten, ob er dich fährt. Das wäre sehr viel besser.«
»Warum? Warum kannst du mich nicht fahren?«
»Ich muss hier weg. Ich … ich bin ein Vampir, Holly! Du solltest nicht mit mir fahren. Nicht nachdem … Wir sehen uns!«
Das weiche Leder seines Ärmels glitt unter Hollys Hand hindurch. Reflexartig krümmten sich ihre Finger, konnten ihn aber nicht halten, als er zurücktrat und mit dem Schatten verschmolz. Einmal kurz sah Alessandro sich über die Schulter zu ihr um. Seine Augen fingen einen verirrten Lichtstrahl ein, der sie bernsteinbraun aufleuchten ließ, doch seine Miene war nicht zu lesen.
»Fahr nach Hause«, bat er, »jetzt!«
»Ja, okay. Ruf mich an!«, antwortete sie und klang total verloren.
Es war allerhöchste Zeit, dass dieser unterirdische Abend endete. Holly ging zu dem Haus, wo sie noch kurz den Polizisten – wie hieß er noch gleich … Macmillan? – fragen wollte, ob sie nicht mehr gebraucht würde. Flutlicht strahlte auf die Vorderveranda, so dass sie noch unheimlicher wirkte. Gelbes Absperrband verriegelte den Weg zur Veranda. Als sie sich der Absperrung näherte, kamen Sanitäter mit drei Bahren die Stufen hinunter, auf denen die vollständig abgedeckten Opfer lagen.
Tränen traten in Hollys Augen. Sie hatte gehört, dass der andere Professor Bill Gamble gewesen war. Er hatte es nicht geschafft. Er war einer von Bens besten Freunden und ein wirklich netter Kerl gewesen. Sechs Menschen waren hineingegangen, und Holly hatte nur drei gerettet. Sie machte sich entsetzliche Vorwürfe.
Überall wimmelte es von Polizisten, und sie sahen alle sehr gespannt aus. Merkwürdig. Es war ja nicht so, als gäbe es hier irgendetwas zu verhaften. Nachdem der Schleim sich aufgelöst hatte, gab es nicht einmal mehr viel zu gucken.
Macmillan kam gerade aus dem Haus und auf sie zu.
»Was ist hier los?«, fragte sie.
Er blieb stehen und wandte sich ihr sichtlich vorsichtig zu. »Das ist ein Tatort.«
Holly verschränkte die Arme vor ihrer Brust. »Ja, aber wen wollen Sie verhaften? Das Haus?«
Macmillan betrachtete sie. Er überlegte eindeutig, wie viel er ihr sagen durfte. »Sie müssen mir ein paar Fragen beantworten.«
»Okay.«
So, wie er sie ansah, wollte er offenbar jede noch so kleine Regung mitbekommen. »Wir haben noch eine Leiche gefunden, und diese starb nicht wie die anderen.«
»Was?!«
»Sie kam anders zu Tode. Ermordet, aber nicht von einer Immobilie.«
Holly packte Macmillans Jackenärmel. »Wie kann es sein, dass ich sie nicht gesehen habe? Wo war sie?«
Er trat einen Schritt zurück und bedachte sie weiter mit seinem Röntgenblick. »Wo ist Ihr Freund – Alessandro
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