Hexenlicht
Lass niemanden rein! Du hast doch von den Campus-Morden gehört, nicht?«
»Wovon redest du? Ach, egal! Ich bin zu müde.«
»Holly, ich möchte, dass du mir zuhörst …«
Das war alles verkehrt. Ben hatte sie weggestoßen, und nun sagte Alessandro zu ihr, sie sollte verschwinden. Und sie fror, war müde und wollte nicht über den Tod nachdenken. Außerdem fühlte sie sich schon bei der Aussicht, allein nach Hause zu kommen, schrecklich einsam.
Wenigstens begriff Alessandro, dass sie Trost brauchte, und das war wohl das Beste, was sie heute Nacht von irgendjemandem erwarten durfte. Also schritt sie wieder in seine Arme und lehnte sich an seine feste Brust. Sie hatte wirklich gewollt, dass ihre Umarmung schwesterlich ausfiel, so wie seine Geste brüderlich gewesen war. Doch sie hörte, wie er überrascht Atem holte.
»Halt mich einfach einen Moment!«, bat sie ihn traurig. »Nur einen Moment, dann fahre ich nach Hause.«
Seine Finger tauchten in ihr Haar und stützten ihren Kopf im Nacken, als hielten sie etwas besonders Zerbrechliches und Kostbares. »Holly, bist du sicher, dass es dir gut geht? Soll ich dich nach Hause bringen?«
Sie antwortete nicht. Die Erlebnisse heute Nacht hatten ihr eine Wunde zugefügt, und erst jetzt, als ihr erstmals Mitgefühl angeboten wurde, ließ sie den Schmerz zu.
Alessandros Hand strich über ihren Hinterkopf, ihren Nacken und stark und sanft zugleich über ihre Schultern. Ihre angespannten Muskeln zitterten, wollten sich nicht entspannen. Sie hatte gedacht, dass sie Trost wollte, aber nun wollte Holly nur noch heulen. Alessandros Freundlichkeit verschlimmerte ihren Schmerz.
Er küsste sie auf den Kopf.
Hier und jetzt bot sich die Wärme, die er ihr gab, als der einzige Balsam für ihr Leiden an. Sie hob den Kopf und küsste ihn auf den Mund. Schnell und vorsichtig presste sie ihre Lippen auf seine. Sie fühlte, wie er erschauerte und sein Herz unvermittelt zu schlagen begann. Die Vibration ging ihr durch und durch und erhitzte Dinge, die sie tief in sich verbarg. Sein Mund war erstaunlich warm, fast menschlich heiß. Ihre Gesichter, Millimeter voneinander entfernt, verharrten beide.
Hollys Blut raste dem Sog seiner Männlichkeit entgegen. Sie zog sie an wie eine physische Kraft, als könnte sie in seine tödliche Kraft eintauchen und sich wohlig in sie hineinschmiegen. Eine köstliche Spannung verdrängte ihre Erschöpfung und weckte warme, ungekannte Neugier in ihr.
Sie lehnte sich ein wenig weiter an ihn und nahm nochmals seine Lippen ein. Zögernd bewegte er sich zurück, ehe er ihren sanften, verhaltenen Kuss erwiderte, ihm allerdings eine neue Note beifügte, die weit fordernder und verlockender war.
Alessandro schmeckte nach Lakritze, nein, nach Fenchelsamen. Manche Vampire kauten diesen ältesten aller Atemerfrischer gern. Der kühle, scharfe Geschmack kribbelte auf Hollys Zunge, und sie leckte sich die Lippen, um mehr davon zu bekommen. Dann schlang sie ihre Arme um Alessandros Nacken, so dass ihre Hände sich in seinem üppigen Haar verfingen. Er duftete nach Leder, Tabak und etwas Einzigartigem, das sie nicht zuordnen konnte:
seinem
Duft nach dem, was er war. Holly ertrank darin.
Seine Hände hielten sie fest, während sie den Kuss vertiefte. Ihre Zunge streifte die langen scharfen Kanten seiner Eckzähne. Mit bebenden Lippen erkundete sie die Konturen mit derselben Faszination, die Urmenschen empfunden haben mussten, als sie erstmals Feuer sahen.
Wieder umfingen seine Hände ihr Gesicht, und sein breiter starker Oberkörper presste sich an sie. Sie konnte die Muskeln fühlen, die sich im Rhythmus mit seiner Zunge und seinen Lippen bewegten. Sein ganzer Körper schien zu dem Kuss zu tanzen.
Alessandros Hand glitt ihre Rippen hinauf und über ihre Brust, bis er den Reißverschluss ihrer Jacke gefunden hatte. Langsam zog er ihn hinunter, was dem Geräusch der kleinen Metallzähnchen ein explosives, erotisches Gewicht verlieh. Ungefähr auf halbem Wege hielt er inne, und seine Hand schnellte zurück, als wäre er bei etwas Unerlaubtem ertappt worden.
Er hätte nicht aufhören dürfen! Holly lehnte sich gegen ihn. Ihre Brüste schmerzten. Mit dem Handrücken strich er sanft von ihrem Schlüsselbein über ihren Hals.
»Das ist es nicht, was ich mir für dich wünsche«, sagte er. Leider lagen seine Augen im Schatten.
Hollys Herz hämmerte. Hitze brodelte in ihr. Unsicher wich sie zurück, obwohl das bebende Verlangen tief in ihrem Bauch sich sträubte. Sie
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