Hexenlicht
»Caravelli.« Er hörte zu. »Hervorragend! Mir ist noch etwas eingefallen. Frag ihn, wo er gestern Nachmittag war, gegen halb fünf. Ja, ich meine es ernst. Sicher!«
Er ging mit dem Telefon in das Zimmer nebenan, das wie ein Arbeitszimmer aussah. Holly blickte ihm nach.
Wo wer gestern Nachmittag war?
Der letzte Mord wurde gestern um halb fünf begangen.
Was geht da vor?
Sie konnte Alessandro kaum hören, weil er extra leise sprach. Hollys Neugier siegte, und sie schlich sich über den weichen Teppich bis kurz vor die Zimmertür. Es klang, als würde Alessandro sich mit jemandem streiten.
»Unmöglich!«, sagte er und schien ungeduldig auf die Erwiderung zu warten. »Überlass mir die Kreatur! In einer guten Stunde bin ich bei dir.«
Es lag nichts Zweideutiges in Alessandros Tonfall. Vielmehr schwang darin eine Drohung mit, die Holly frösteln machte.
»Ich bin alt genug, um nicht so dumm zu sein, zu viel zu sagen«, knurrte Alessandro. »Und ich bin hier, weil ich meine Interessen schützen will.«
Seine Interessen schützen?
»Na schön, wenn das der Fall ist, komme ich lieber.« Er klappte sein Handy zu und drehte sich um.
Erschrocken huschte Holly zum Sessel zurück, aber leider fing er sie vorher ab, indem er ihren Arm packte. »Autsch!«, beschwerte Holly sich und versuchte vergebens, sich ihm zu entwinden.
»Ich konnte dich vor der Tür atmen hören«, flüsterte er ihr ins Ohr. Sein Atem, kälter als der eines Sterblichen, hatte zur Folge, dass sich Hollys Nackenhaare aufrichteten. Er ließ sie los. »Sei vorsichtig, wen du belauschst! Sei von jetzt an überhaupt bei allem sehr vorsichtig!«
Auf einmal waren seine Größe und seine Stärke schlicht zu sehr
präsent
. Selbst als Sterblicher wäre er umwerfend gewesen. Als Vampir jedoch war er mindestens zehnmal so stark wie jeder normale Mann. Erschrocken und beeindruckt zugleich, musste Holly schlucken, denn der Ausdruck in seinen Augen war fordernd, gierig, sündhaft schön.
Hollys Herzschlag beschleunigte sich. »Ich habe gehört, wie du meintest, du wärst nicht so dumm, zu viel zu sagen. Was erzählst du mir nicht?«
Wütend funkelten sie einander an, und zwischen ihnen brannte die Luft. »Bin ich so wenig vertrauenswürdig?«, flüsterte Holly.
Stirnrunzelnd nahm er seine Autoschlüssel vom Couchtisch. »Leg mir keine Worte in den Mund! Genieß dein Essen!« Es klang nicht, als wünschte er ihr tatsächlich einen schönen Abend.
»Aber genieß es nicht zu sehr?«, fragte sie schnippisch und sah ihn übertrieben unschuldig an.
Grüblerisch blickte er auf seine Schlüssel, als könnten sie ihm weit mehr öffnen als bloß die Autotür. »Genau. Ich würde lieber hier bei dir bleiben und alles im Auge behalten.«
»Wieso? Laufe ich Gefahr, vergiftet zu werden?«
Er kam so nahe, dass der Ärmel seines Seidenhemds ihren nackten Arm streifte. Mehr brauchte es nicht, dass ihre Gedanken in alle Winde zerstreut wurden. So schnell, wie ihr Blut in seiner Nähe pulsierte, hätte man fast glauben können, er hätte es gerufen. Vielleicht hatte er das. Die Macht eines Vampirs bestand zu einem wesentlichen Teil in seiner Anziehungskraft, in jener besonderen Fähigkeit, seine Beute zu bezaubern.
Gütige Hekate!
Vergangene Küsse geisterten ihr durch den Kopf, beinahe fühlbar, zum Greifen nahe. Eine schmerzliche Erregung durchfuhr sie, die in ihr den Wunsch weckte, sich an seine Brust zu werfen.
Ich will ihn zu sehr.
Nun, sie hatte ihn gekostet und wusste, wie gut diese Lippen sein konnten.
Tödlich gut.
Er beugte sich zu ihr, bis sein Mund Zentimeter von ihrem Ohr entfernt war, und legte sachte eine Hand an ihre Taille. »Denkst du, ich lasse dich gern bei diesem Mann? Mir gefällt nicht, wie er riecht. Er verbirgt etwas.«
Hallo?!
Hollys Puls stolperte und raste weiter, angetrieben von dem Wunsch, Alessandro nahe zu sein, und der Einsicht, dass sie dringend Abstand von ihm brauchte. »Wer hat dich zu meinem Wachhund ernannt?«
Ein Feuer loderte in seinen Augen auf, doch er nahm ihre Herausforderung nicht an. Stattdessen glitt er mit einer Hand durch ihr Haar, so dass Holly erschauderte. Er hatte die Grenze überschritten, die sie doch beide unbedingt wahren wollten – und das um Meilen.
Seine andere Hand wanderte zu ihrer Hüfte. »Ich würde bleiben, aber ich werde anderswo gebraucht. Komm mit mir! Lass mich dich nach Hause bringen, wo du sicher bist!«
Sicher?
Allein mit Alessandro zu sein, war garantiert nicht sicher. Holly fühlte seine
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