Hexennacht
anhören wollte, und daß diese Heuchler, die Shipri dienen, dir erzählten, dies sei ein Teil der den Frauen auferlegten Bürde.«
Gilla sah zurück zur goldenen Kuppel des Tempels, die nach wie vor halb hinter dem Baugerüst verborgen lag. »Ist es selbstsüchtig, daß ich Lalo wiederhaben möchte? Ich meinte stets, die Starke sei ich, aber ich brauchte ihn!«
»Natürlich tust du das!« sagte Vanda resolut. »Und wir brauchen ihn auch!« Vandas Haar, das im Sonnenlicht glänzte, war von der selben Farbe wie Lalos in jüngeren Jahren, aber der Glanz ihrer grauen Augen war getrübt. Gilla schluckte die letzten Tränen hinunter und wischte sich entschlossen die Augen trocken.
»Du hast recht. Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist!«
»Kommst du nun mit zur Lady Kurrekai?«
Zum erstenmal seit sie den Tempel verlassen hatte, nahm Gilla ihre Umgebung bewußt wahr und stellte fest, daß sie nicht die Tempelhalle hinunter auf die Stadt zugingen, sondern an der äußeren Mauer des Statthalterpalasts entlang. Sie seufzte. »Nun gut. Wir wollen sehen, ob die Fremden uns helfen können, denn hier in Freistatt erwartet uns keine Hilfe, weder von Magiern noch von den Göttern!«
Der Prinz hatte der Beysa und ihrem Hof großzügig Räume im Palast zur Verfügung gestellt, vielleicht mußte er aber auch nur aus der Not eine Tugend machen. Gilla fragte sich, wie alle hier Platz fanden. Der Palast schien geradezu überfüllt mit Beysiberfunktionären in ihrer Tracht aus seidenen Beinkleidern und weiten Wämsern oder bauschigen Röcken und hohen Kragen. Sie meinte, wesentlich mehr Beysiber zu sehen als Palastdiener mit den seidenen Schärpen, die mit auffällig zur Schau gestelltem Ernst ihren Pflichten nachgingen.
Gilla warf einen Blick auf ihre Tochter, die bereits Beysibermode nachahmte und ein Kleid trug, das aus einem alten Unterrock ihrer Herrin geschnitten war, in dessen Saum goldene Fäden glitzerten. Ob diese Frau der Beysiber nun helfen konnte oder nicht, so war es doch gewiß, daß Lalo ein gutes Werk getan hatte, als er seine Beziehungen zum Palast nutzte und Vanda hier unterbrachte.
Die Lady bewohnte einen Raum im ersten Stock des Palasts, nahe den geräumigeren Wohnungen unter dem Dachgarten, in denen die Beysa lebte. Wenn Gilla richtig verstanden hatte, was Vanda ihr über Beysiberpolitik erzählt hatte, so war Kurrekai eine Cousine der Königin Shupansea, nicht in direkter Linie zum verlorenen Thron, aber königlich genug, um eine der heiligen Schlangen zu besitzen und als Priesterin ausgebildet zu sein.
Gilla schauderte, als Sie an die Beynit dachte. Die Basilisken Enas Yorls waren schlimm genug gewesen, und nun mußte sie diesen sonderbaren Fischäugigen gegenübertreten. Ich muß diesen Mann lieben , dachte sie, sonst würde ich heimrennen.
Aber da hatten sie auch schon Kurrekais Gemach erreicht. Ihr blieb keine Wahl mehr. Hier roch es nach einer Art Weihrauch, bitterem Sandelholz ähnlich.
»Ah, die Mutter meiner kleinen Freundin. Seid willkommen.« Die Lady sprach mit tiefer Stimme und leichtem Akzent. Sie erhob sich. Neben der hochgewachsenen, kräftigen Frau fühlte sich selbst Gilla fast klein. Sie staunte über den prächtigen gesteppten Unterrock, dessen karmesinroter Brokat derart mit Goldstickerei beladen war, daß man das ursprüngliche Muster kaum mehr erkannte. Darüber teilte sich ein steifer Rock aus tiefblauen Samtstreifen und ein Korsett mit engen angesetzten Ärmeln aus dem selben Stoff. Da die Beysiberfrauen außerhalb der Palastmauern Mäntel trugen, war es Gilla bisher verborgen geblieben, daß sie ihre Brüste unbedeckt ließen. Kurrekais Brüste waren groß und fest, und die Brustwarzen mit kunstvollen roten und goldenen Mustern verziert.
»Nehmt Platz. Ich lasse Tee bringen.« Lady Kurrekai klatschte in die Hände und ließ sich wieder auf dem Diwan nieder. Vanda schob ihrer Mutter ein Sitzkissen unter, und Gilla, deren Knie immer weicher wurden, nahm dankbar Platz.
»Eure Tochter ist mir eine große Hilfe«, fuhr die Lady träge fort. »Sie ist flink und hat so wundervolles Haar.«
Vanda errötete, sie nahm das Tablett, das eine Beysiberfrau zur Tür brachte, entgegen und stellte es auf einem niederen Tischchen aus beschnitztem, dunkelrotem Holz ab. Dann goß sie Tee ein. Das Service war aus hauchdünnem Porzellan und schien fast durchsichtig. Gilla kam plötzlich in den Sinn, daß sie sich nicht mehr umgezogen hatte, seit Lalo krank geworden war, und daß auch ihr
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