Hexennacht
schlecht gewesen. Er stöhnte und wünschte sich nichts sehnlicher, als wieder ohnmächtig zu werden.
»Lalo, Schatz, du mußt aufwachen. Du verdammter Kerl, ich hab’ dich gehört, mach die Augen auf und schau mich an!«
Etwas Kaltes lief ihm den Hals hinunter, und jemand unterdrückte ein Schluchzen. Gilla? Gilla? Sie weinte doch nicht um ihn, wenn er vom Saufen nach Hause kam. Ein Eimer kaltes Wasser mochte ihn erwarten, aber gewiß keine Tränen. Wie lange war er wohl ohnmächtig gewesen?
Ihm war, als entriegle er ein altes Schloß mit einem rostigen Schlüssel, als er die Augen öffnete.
Er lag auf dem Strohbett im Arbeitszimmer. Alfi und Latilla kauerten dort am Fußende und starrten ihn mit großen Augen an. Neben ihnen saß Vanda; sie machte den Eindruck, als wäre eine große Sorge von ihr gewichen. Dann bewegte er die Augen - den Kopf ließ er vorsichtshalber noch ruhen - und sah Gilla neben dem Bett. Ihr Gesicht war verquollen und die Augen rot vom Weinen, und als sich ihre Augen trafen, entdeckte er Tränen.
Ohne nachzudenken hob er die Hand und wischte sie fort. Dann starrte er auf diese Hand, die bleich war, blaugeädert und dünn. Und jetzt fiel ihm auch auf, wie leicht sich sein ganzer Körper anfühlte und daß seine andere Hand das Laken umklammert hielt, als müsse er sich festhalten.
»Gilla, war ich krank?«
»Krank! So kann man das wohl nennen - was sollte man auch sonst dazu sagen .«, brauste Gilla auf. Vanda erhob sich.
»Vater, du hast etwa drei Wochen lang in einer Art Trance gelegen.«
Drei Wochen? Aber am Nachmittag hatte er doch noch gemalt. Er war zum Spiegel gegangen und dann ... Lalo fing an zu zittern, als die Erinnerung zurückkehrte. Die Augen füllten sich mit Tränen, und er dachte an die Schönheit dieser anderen Welt. Aber Gillas Hände packten ihn an den Schultern und rüttelten ihn in die Wirklichkeit zurück.
Lalo starrte sie an. Durch den Schleier ihrer tränenverquollenen Gesichtszüge erkannte er das Gesicht der Göttin, die ihn nach Hause gebracht hatte. Den Blick ein wenig nach innen gerichtet, entdeckte er in den Zügen seiner Tochter ein weiteres, ihm bekanntes Gesicht voller Fröhlichkeit. Nur die beiden jüngeren Kinder blieben so, wie sie waren.
So , dachte er, vielleicht brauche ich nun keinen Pinsel mehr, um die Wahrheit zu sehen. Er lehnte sich zurück und versuchte, was mit ihm geschehen war, in die Erinnerung des Mannes, der er war, aufzunehmen.
»Wie fühlst du dich? Brauchst du etwas?« Gilla hatte sich die Augen trockengewischt und schneuzte sich kräftig die Nase am Saum ihrer Schürze.
Lalo lächelte. »Nun, ich habe seit drei Wochen nichts mehr gegessen .«
»Vanda, auf dem Herd steht Suppe«, sagte Gilla befehlsgewohnt. »Mach sie warm. Und ihr Kleinen geht mit ihr. Ihr habt Vater gesehen, er braucht euch jetzt nicht. Alles wird wieder gut .«
Gilla lief nervös im Zimmer umher, sie klopfte Kissen auf und legte sie so, daß Lalo bequem sitzen konnte, dann schob sie einen Stuhl wieder an die Wand. Lalo streckte die Finger und fühlte, wie sie prickelten, als das Blut wieder zirkulierte. Er wunderte sich, wie er zu dem Kratzer am Arm gekommen war.
Neben dem Strohbett lagen einige Bögen Papier und ein Stück Holzkohle. Kann ich noch zeichnen? fragte er sich. Als er sah, daß Gilla ihn nicht beobachtete, nahm er die Kohle und zeichnete ein paar Striche und Schattierungen, und auf dem Blatt entstand die Zeichnung einer ganz gewöhnlichen Freistätter Fliege. Er starrte darauf und hätte wohl nie gewagt die Frage, die er sich stellte, in Worte zu fassen. Aber nichts geschah, die Fliege auf dem Blatt war und blieb eine gezeichnete Fliege.
Lalo lächelte trocken und legte die Kohle weg. Was hatte er auch erwartet - hier!
Gilla kam mit einer Schüssel voll dampfender Suppe, setzte sich neben das Strohlager, tauchte den Löffel ein. Lalo blies sanft über die Zeichnung um den Kohlenstaub zu entfernen, dann legte er sie weg. Als Gilla ihm den Löffel an den Mund hielt, öffnete er brav die Lippen. Ich könnte auch allein essen, dachte er, aber er merkte, wie wichtig es für Gilla war, ihm diesen Dienst zu erweisen.
Die warme Suppe tat seiner ausgetrockneten Kehle gut, und sein Körper schien die Flüssigkeit aufzusaugen wie ein Schwamm.
»Das ist jetzt genug«, sagte Gilla und stellte die Schüssel weg.
»Es schmeckte sehr gut.« Lalo sah sie an und fragte sich, wie er in ihr jemals etwas anderes hatte sehen können als die Göttin. Dann
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