Hexennacht
Aber Gilla ähnelte der Scharfzüngigen schon lange nicht mehr, er meinte in ihr nun mehr das Bild der stillenden Mutter der Ilsig zu sehen.
Dann aber traf ihn der Glanz, den Ils’ Gesicht ausstrahlte. Selbst in diesem neuen Körper vermochte Lalo nicht in dieses Licht zu blicken.
Er schrie auf und schloß die Augen.
»Sohn Ils’, komm zu mir ...« Ein Klang, der Licht war, drang schmerzbereitend durch Lalos geschlossene Lider. Er schüttelte den Kopf.
»Herr, ich diente in den Tempeln Eurer Feinde, und ich fürchte mich.«
»Aber ich habe diese Feinde besiegt. Steh auf und komm zu mir!«
Ich bin schon gestorben , dachte Lalo. Was kann er mir denn noch antun? Er öffnete die Augen. Thufir Weit-Seher stand bereit, ihn zu seinem Vater zu geleiten, der seinen Glanz hinter der Maske der großen Marmorstatue des Ils-Tempels verbarg.
»Ihr habt viele Porträts gemalt, seit der Magier Euch diese Gabe verlieh, Maler. Was habt Ihr gesehen?«
Lalo heftete den Blick auf die Silberkette, die unter dem Bart des Gottes glitzerte. »Tiere ...«, flüsterte er, »... und Dämonen und manchmal - Götter.«
»Und als du die Gabe des Magiers an dir selbst erprobtest?« fuhr die unerbittliche Stimme fort.
Lalo schauderte, aber Thufirs fester Griff hielt ihn in dieser Wirklichkeit. Er hatte eine Liebe zu Kleinlichkeiten gesehen, derer er sich schämte, und jenseits davon eine Zerstörungslust, die ihn entsetzte, und eine Fähigkeit zu lieben, die ihn noch viel tiefer erschütterte. Er hatte in die Tiefen seiner eigenen ungeahnten, kreativen Kraft geblickt.
»Wie du Enas Yorl und den Priestern Savankalas dientest, mein Sohn, so sollst du nun mir dienen«, sprach Ils’ Stimme.
Vor sich sah Lalo eine weiße Leinwand und Pinsel, die seine eigenen in den Schatten stellten, wie ein Pferd von Tros einen Esel der Abwinder, und eine Palette mit Farben, für deren Geheimnis die Händler von Freistatt ihre Seele gegeben hätten. Durch Lalos rechte Hand strömte eine Kraft, die stärker und stärker wurde. Er griff nach einem Pinsel und tauchte ihn in ein Scharlach, wie er noch keines gesehen hatte, tupfte es auf die Leinwand und fühlte sich von einer berauschenden Gewalt erfaßt, einem Liebesakt gleich.
Seine Hand huschte über die Leinwand und färbte sie scharlach, dann folgte ein strahlendes Gold und schließlich eine schillernde Blauschattierung. Dann trat er einen Schritt zurück, und der Pinsel entglitt seinen Fingern. Das Ding auf der Leinwand bewegte sich, es streckte sich und erhob sich in die Luft.
Eshi lachte und klatschte in die weißen Hände, und Thufir lächelte sein ruhiges, geduldiges Lächeln. Lalo starrte dem winzigen Sikkintair, das unter seinen Händen lebendig geworden war, nach, als es durch die Bäume davonschwebte.
»Bisher vermochtest du die Wahrheit zu malen, die sich hinter der Wirklichkeit verbarg.« Das Flüstern Ils’ hallte in Lalos innerster Seele. »Nun gibst du der Wahrheit, die du siehst, Gestalt. Verstehst du jetzt, wer du bist?«
O heilige Mutter allen Lebens,
Wir wandern auf verlornen Pfaden.
Bewahr uns vor Gefahr, und vergebend Geleite uns heim in Deine Gnaden.
»Heilige Shipri, Allmutter, auch Du liebst Deinen Gemahl!« Gillas leises Flehen ging unter in den süßen Harmonien der Hymne. »Höre mich an und geleite meinen Mann zurück zu mir .«
Hier in der Kapelle der Mutter warfen flackernde Kerzen unstetes Licht auf die mosaikverzierten Wände. Man sah kaum die schlichten Reparaturen an der Wand, die Vashankas Blitz gespalten hatte. Gilla kauerte im Schatten, während die blaugewandete Priesterin vor dem Marmorbild der Göttin auf und ab schritt und ihr Lied vortrug.
Du heilst, was zerstört durch Menschenhände Ewignährendes, fruchtbares Weib Du bist der Quell des Lebens - und an seinem Ende Ruh’n wir in Deinem heilgen Leib
Ruht Lalo wohl schon sicher in Ihren Armen? fragte sich Gilla. Vielleicht brauchten die Götter einen Hofmaler, und was hat Freistatt im Vergleich damit schon zu bieten? Sie senkte den Kopf und wiegte sich vor und zurück, während der Gesang weiter ertönte und den ewigen Kreislauf von Leben, Geburt und Tod pries, und die so lang verwehrten Tränen fielen wie Regen auf den Marmorboden.
Die Priesterin hatte ihr Lied beendet. Es war still in der Kapelle, als Gilla Vandas Hand auf ihrer Schulter fühlte. Sie ließ sich von ihrer Tochter hinausführen ins grelle Sonnenlicht Freistatts.
»Nun sag bloß nicht«, begann Vanda, »daß Goronesh dich nicht einmal
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