Hexennacht
gleiten, dann drückte sie einen weiteren Bluttropfen aus der Wunde und noch einen dritten.
»Geht nun und tut, was ich Euch gesagt habe - rasch ...« Sie verschloß die Viole und reichte sie Gilla, dann leckte sie sich geziert das Blut vom Daumen. »Und denkt daran, ich warnte Euch, es könnte versagen.«
»Der Segen der Allmutter über Euch, Lady, und mögt Ihr frei sein von jeder Schuld.« Gilla war schon aufgesprungen. »Zumindest habt Ihr versucht, zu helfen.«
Sie eilten die Gänge des Palasts entlang. Vanda versuchte, mit ihrer Mutter Schritt zu halten und nicht allzu laut zu sprechen.
»Mutter, wie konntest du das tun? Ich war zu Tode erschrocken! Mutter, du hättest sterben können!«
Gilla eilte weiter, ohne zu antworten. Jeder, der ihr begegnete, sah zu, daß er ihr rasch Platz machte. Erst als sie das Westtor hinter sich gelassen und vertraute Straßen erreicht hatten, hielt sie inne, um Atem zu holen.
»Vanda, du bist nun eine Frau, alt genug, dich um die Jüngeren zu kümmern wenn es sein muß, und alt genug, zu verstehen. Wenn das hier helfen sollte, mußt du mir versprechen, deinem Vater nie zu erzählen, was ich für ihn getan habe.«
»Und wenn es nicht hilft?« Vandas Stimme klang nun sehr dünn.
Gilla blickte auf das pulsierende Leben um sich. Sonnenlicht fiel auf braungebrannte Gesichter. Streit und Gelächter und Gerüche verschiedenster Art erfüllten die Luft. Einen Herzschlag lang war ihr, als steckte sie nicht mehr in ihrer Haut, sondern wäre eins mit ihrer Umgebung.
»Ich habe sieben Kinder geboren und zwei sterben sehen, und ich lebe mit demselben Mann seit sechsundzwanzig Jahren«, begann Gilla ruhig. »Und gerade habe ich erkannt, daß ich die ganze Stadt opfern würde für eine Locke seines Haars. Wenn das Zeug hier ihn umbringen sollte«, sie schüttelte die Hand, in der sie die kleine Kristallviole hielt, »dann tut es mir leid, Vanda, aber ich würde ihm folgen.«
Lalo, der Gott, schuf eine Frau, eine Göttin, schön wie Eshi, füllig wie Shipri, weise wie Sabellia und ihm lieb wie jemand, an den er sich nicht zu erinnern vermochte, aber sein Pinsel malte Gold, sonnenlichtgleich in ihr Haar. Hier die reifen Brüste, an denen ein Dutzend Säuglinge satt würden, dort die geschwungenen Hüften und Schenkel, und die Haut zarter als Seide aus Sihan - Lalo lächelte, und der Pinsel malte wie von selbst und bedeckte die weiße Haut mit einem rosigen Schimmer, der Innenseite einer Muschel ähnlich.
Dann trat er von der Leinwand zurück und lächelte. Die Gestalt, die er gemalt hatte, wandte sich ihm zu und nahm ihn bei der Hand.
Er hatte das erwartet und griff mit der anderen Hand nach ihr, aber sie fuhr fort, sich in seinem Griff zu drehen, zog ihn mit sich, schneller und schneller, bis die grüne Wiese um ihn verschwamm.
»Warte! Wohin gehen wir? Am Fluß ist ein schattiger Platz, dort können wir liegen und . « Verdammt, wenn sie nur stillstünde und ihn einen Augenblick ansähe, dann wüßte er ihren Namen.
Wolken zogen auf. Es donnerte. Oben und unten verloren ihre Bedeutung, und der Pinsel entglitt seinen Fingern.
»Wer bist du?« brüllte er. »Wohin bringst du mich?«
Dann driftete er durch Winde, die an seinem Bewußtsein zerrten, bis es nichts mehr gab als den Griff um seine Hand. Die Welt war zu Schmerz und Finsternis geworden, aber durch die Wolken, die um ihn wirbelten, sah er flüchtig Bilder: eine prunkvolle große Stadt, wo das Banner eines Belagerers wehte; Armeen, die wie Ameisen über Ebenen krochen; Berge, die erbebten, als Menschen und Magier sich befehdeten; und hier und dort Flecken tiefster Finsternis, wo Kräfte, dunkler als die Menschheit, nach Macht strebten.
Wenig später tauchte ein ihm bekannter Hafen auf und einige Häuser, eine mattglänzende Kuppel - dann hüllte Schmerz ihn ein, und er fiel.
Lalo hatte einen Geschmack auf den Lippen, als habe er das Spülwasser des Wilden Einhorns getrunken, und in seinem Kopf schienen die Stiefsöhne Manöver abzuhalten. Abgesehen von einem lästigen Pochen im Arm war sein Körper nahezu gefühllos.
Gilla rief ihn.
Heiliger Anen, bestraf mich, wenn ich noch einmal diesen Wein anrühre! dachte er benommen, konnte sich aber nicht recht entsinnen, welcher Wein es gewesen sein mochte. Auch an eine Sauftour am Abend zuvor fehlte ihm jede Erinnerung, und das gab ihm zu denken. Gilla war gewiß wütend, wenn sie ihn hatte heimschleppen müssen, und nach dem Geschmack in seinem Mund zu urteilen, war ihm auch
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