Hexennacht
Fuß ihres Bettes zog. Dort bewahrte sie auch ihre Waffen auf. Das prächtige Schwert schnallte sie sich um und nach kurzer Überlegung auch die zwei Dolche. Hanse hielt sich für geschickt mit seinen Messern. Es mochte ein aufregendes Spiel sein, ihn herauszufordern.
Als sie angekleidet war, klemmte sie sich die Flasche Vuksibah unter den Arm und verließ ihr Gemach. Ihr Vater schlief oder las in seiner Kammer. Sie hatte nicht vor, ihn zu stören. Er machte sich immer Sorgen um sie, wenn sie ausging, obgleich er nie versuchte, sie zurückzuhalten. Dafür liebte sie ihn besonders.
Sie stieg die Treppe zum Hauptgeschoß hinunter. Die Absätze ihrer Stiefel klickten auf dem Stein. Dayrne hatte sie offenbar gehört, denn als sie unten ankam, wartete er bereits auf sie. Zwei weitere ihrer acht Gladiatoren machten ganz in der Nähe ihre Runden. Kadakithis war nicht der einzige auf Therons Liste: Ihr Vater war nicht nur der Freund, sondern auch ein Verwandter des Kaisers gewesen.
»Hol mir Reyk«, bat sie den dunkelhaarigen Riesen. »Dann laß deine Wache von einem anderen übernehmen. Du bist die vergangenen fünf Nächte mit mir durch die Straßen gestreift, und heute nacht ist mir deine Müdigkeit aufgefallen.«
Dayrnes Gesicht verfinsterte sich, aber er beherrschte sich rasch. »Laßt mich Euch wieder begleiten, Lady«, bat er. »Die Nacht ist tückisch .«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht diese Nacht, mein Freund.« Sie deutete auf die Flasche. »Heute nacht möchte ich mich vergnügen.«
Offenbar wollte er etwas entgegnen, unterließ es jedoch dann. Er drehte sich um und ging. Die Falken wurden in einer großen Voliere hinter dem Herrenhaus gehalten, aber Dayrne beeilte sich und kehrte alsbald mit ihrem Lieblingsvogel zurück.
Chenaya wickelte sich den Fußriemen um die Finger, nahm Reyks Haube ab und gab sie Dayrne. Mit Reyk kam sie auch so zurecht - im Gegensatz zu den anderen Falken.
»Und jetzt ins Bett mit dir.« Sie drückte freundschaftlich die Armmuskeln ihres Gladiators. »Mach dich am Morgen auf das härteste Training deines Lebens gefaßt!«
Sie schritt hinaus in die laue Nacht; hier, fern der Enge ihres Gemachs, fühlte sie sich besser. Sie würde zuerst in seiner Unterkunft nach Hanse suchen, und wenn er nicht dort war, im Wilden Einhorn. Es mochte etwas Zeit kosten, aber sie würde ihn finden: Er war die Mühe wert!
Als sie die Tempelallee überquerte, trat ein sehr junges Mädchen aus den Schatten vor sie. Eine zierliche Hand strich die Kapuze des abgetragenen Umhangs zurück und entblößte dunkle Locken und große ängstliche Augen. »Bitte, Herrin«, flehte sie scheu, »schenkt einer Unglücklichen eine Münze.«
Chenaya wurde jetzt erst bewußt, daß sie ihren Umhang vergessen hatte. Aber es spielte keine Rolle - die Leute, die sich auf den Straßen herumtrieben, kannten sie inzwischen ohnehin. Sie wollte an dem Mädchen vorbeigehen.
Die Kleine trat näher, bemerkte Reyk und blieb stehen. Sie lutschte kurz an einer Fingerspitze, dann flehte sie erneut: »Bitte, Herrin, was immer Ihr entbehren könnt. Sonst muß ich mich im Himmlischen Versprechen verkaufen, damit mein kleiner Bruder nicht verhungert.«
Chenaya betrachtete das ausgemergelte Gesichtchen und die großen bettelnden Augen, die so voll Angst und Hoffnung waren. Sie war in den vergangenen Nächten oft angebettelt worden, ohne auch nur einmal ihren Geldbeutel zu zücken. Dieses junge Ding jedoch erweichte ihr Herz. Sie griff in ihren Beutel und ließ ein paar rankanische Goldstücke in die ausgestreckte Hand fallen.
Das war mehr Geld, als die Kleine je gesehen hatte. Ungläubig starrte sie es an. Tränen schossen in ihre Augen, sie warf sich auf den Boden, schlang die Arme um die Beine ihrer Wohltäterin und weinte.
Reyk kreischte und wollte seine Herrin schützen. Nur der Fußriemen verhinderte, daß er sich auf das schluchzende Kind stürzte. Chenaya mühte sich, ihn zu halten und ihr Gleichgewicht nicht zu verlieren, als die Arme des Kindes sich um sie wanden. Die Flasche Vuksibah entglitt ihr und brach. Das teure Getränk spritzte auf ihre Stiefel. Sie stieß eine wütende Verwünschung hervor und schob die törichte Kleine von sich.
»Es tut mir so leid, Herrin«, wimmerte die kindliche Bettlerin. Sie plagte sich auf die Füße und wich zurück. »So leid, so leid!« Sie wirbelte herum und floh in die Dunkelheit.
Glasscherben glitzerten um ihre Füße, als der Vuksibah in den Staub sickerte. Seufzend stieß sie die
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