Hexennacht
Trier zurückzufahren. Mit
einem kräftigen Ruck am Lenkrad leitete Arved den Wagen auf die
Straße nach Manderscheid.
Aus dem leichten Nieseln wurde plötzlich ein Platzregen. Die
Scheibenwischer bewältigten die Wassermassen kaum mehr.
Überdies hatte sich ein Gewitter gebildet, obwohl es den ganzen
Tag über schön und frisch gewesen war. Grelle Blitze
zuckten über den Wald, rollten sich wie Peitschenschnüre
auf und machten aus den Wipfeln sägeblattartige Kämme.
Arved fuhr mit Schrittgeschwindigkeit, denn die Straße
verschwamm vor ihm. Da aber keine Haltebucht zu sehen war, traute er
sich nicht, mitten auf der Straße anzuhalten. Die Gefahr, dass
es zu einem Auffahrunfall kam, war zu groß.
Arveds Kinn hing schon über dem Lenkrad. Er hatte die
Zähne zusammengebissen und starrte verzweifelt in den
Regenvorhang, der nun auch noch von heftigen Windböen hin und
her getrieben wurde. Die Blitze, geworfen in Bündeln wie von
wütender Himmelshand, erhellten für Augenblicke die
Nachtwelt und schufen einen falschen Tag, der als Nachbild in den
Augen klebte. War da nicht rechts von ihm ein Parkplatzschild? Er
schaltete das Fernlicht ein, sah nur wenig mehr als vorher, doch
tatsächlich erschien nun rechts von ihm ein kleiner Weg.
Vielleicht war es nur ein Holzabfuhrpfad.
Kurz entschlossen lenkte Arved den Bentley in den schlammigen Weg.
Dieser verbreiterte sich und führte in einem kleinen Bogen
wieder auf die Straße zurück; es war ein Parkplatz. Arved
atmete auf und schaltete den Motor aus. Die Welt um ihn herum versank
in Regen und Dunkelheit, die nur von gelegentlichen Blitzen
durchzuckt wurde. Donner rollte dicht über ihm.
Aus dem Wald lief etwas auf den Wagen zu. Zuerst sah Arved es nur
aus den Augenwinkeln, doch dann wurde es ein schwarzer Schemen, der
mit beängstigender Geschwindigkeit näher kam. Arved schlug
das Herz bis zum Hals. Sein Denken setzte aus. Automatisch drehte er
den Zündschlüssel. Der große Achtzylinder sprang
sofort an. Jetzt hatte die Gestalt den Wagen erreicht. Sie trommelte
gegen die rechte Seitenscheibe. Arved wollte schon Gas geben, als er
die Stimme hörte. Sie klang unendlich gedämpft.
Es war die Stimme einer Frau.
Einer Frau in höchster Not.
»Hilfe! So helfen Sie mir doch! Mein Mann! Mein Mann! Er
liegt im Sterben!«
4. Kapitel
Arved ließ das rechte Seitenfenster herunter. Ein Schwall
Wasser schwappte herein. Die Frau steckte den Kopf in das
Wageninnere. Arved konnte nicht sagen, ob die Nässe auf ihrem
Gesicht vom Regen oder von Tränen herrührte. Ihre dunklen
Augen brannten.
»Mein Mann! So steigen Sie doch endlich aus! Er
verbrennt!« In diesem Regen?, wollte Arved fragen, doch er
schluckte die Worte hinunter; sie erschienen ihm unendlich dumm. Er
verließ den trockenen Wagen und war im nächsten Augenblick
von einem Schwall Wassers überzogen. Aus dem Kofferraum holte er
seine Windjacke, streifte die Kapuze über und schaute die Frau
fragend an.
Sie trug eine Bundhose und klobige Wanderschuhe. Ihre Kleidung war
aufgeweicht; die schwarzen Haare hingen ihr tropfnass und glatt ins
Gesicht. Sie mochte ein wenig jünger als er selbst sein,
vielleicht dreißig oder zweiunddreißig.
Mit weit ausholenden Bewegungen zeigte sie in den regenverhangenen
Wald hinein. »Da hinten!« Sie drehte sich rasch wie ein Reh
um und sprang in den Wald. Ein Blitz zuckte auf und tauchte die
Bäume in krankweißes Licht. Die Frau war nur noch als
Schatten zwischen den Fichten und Eichen zu sehen. Der Donner
übertönte das Rauschen des Regens und das Raunen der zarten
Frühlingsblätter. Eine Windbö fegte einen
Regenschleier gegen Arved. Er schloss die Augen, öffnete sie
wieder und sah die Nachtwelt wie durch eine Milchglasscheibe.
Fern hörte er die Stimme der Frau: »…
kommen…«
Er lief auf sie zu. Morsches Holz knackte unter seinen
Füßen. Schwarze Baumriesen warfen sich ihm in den Weg. Er
brauchte Licht. Wie ein Zeichen zuckte der nächste Blitz. Arved
war bereits vom Weg abgekommen und stand im Unterholz des dichten
Waldes. Rechts von ihm ragte eine dunkle Masse auf. Eine
Blockhütte vielleicht. Windschief. Nirgendwo war mehr ein
Zeichen der rätselhaften Frau zu sehen. Er blieb stehen und
lauschte in die Gewitternacht. Links von ihm knackte und knisterte
etwas, als breche ein schweres Tier durch das Gebüsch. Es
bewegte sich zielstrebig auf ihn zu. Er dachte daran, dass
Walpurgisnacht war. Erlaubte sich da jemand einen schlechten Scherz
mit ihm? Oder…
Er
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