Hexennacht
die
Frau am Rande der Hysterie. »Nun machen Sie doch!«
»Ich verbrenne!«, keuchte der Mann mit brüchiger
Stimme. »Es… frisst… mich auf… Geh…
weg… du Teufel…«
Unter ihm bemerkte Arved Kreidestriche, teils verwischt, teils
seltsame Muster bildend. Er stellte sich hinter den Kopf des Mannes
und griff ihm unter die Schultern.
»Jetzt wird alles gut, Jürgen. Der Mann wird uns helfen.
Alles wird gut. Alles wird gut.«
Es klang wie eine Selbstbeschwörung. Die Frau ergriff die
Beine ihres Gatten und gemeinsam hoben sie ihn hoch. Er war zum
Glück recht leicht.
Wenn man mich so tragen müsste, hätte man ziemliche
Probleme, dachte Arved und hätte beinahe gelächelt.
Als sie nach draußen traten, kam der Mond wieder hinter den
Wolken hervor und durchglühte die Waldkathedrale mit silbernem
Licht.
»Schneller!«, trieb die Frau ihn an. Sie lief voran und
hielt die Beine des Mannes hinter ihrem Rücken.
Arved hatte ihn noch bei den Schultern gepackt und taumelte hinter
der jungen Frau her.
Aus den Augenwinkeln sah er gewaltige, dunkle Vögel auf einem
Baum in der Nähe der Hütte sitzen. Einer davon schlug mit
den Flügeln und stieß einen hohen, schrillen Schrei aus.
Insgesamt waren es sechs, wie Arved bemerkte.
Eulen. Sinnbilder der Weisheit. Vorboten der Dunkelheit und des
Bösen.
Arved schüttelte den Kopf und war froh, als sie die
unheimlichen Vögel hinter sich gelassen hatten. Er hatte
inzwischen völlig die Orientierung verloren und hoffte, dass die
Frau wusste, wo der Parkplatz war. Jedenfalls lief sie los, als kenne
sie die Umgebung genau. Der Mann hatte noch immer die Arme wie im
Krampf über den Bauch gelegt, aber inzwischen gab er keinen Laut
mehr von sich. Arved hoffte, dass er noch lebte. Er wollte die Frau
in ihrem Lauf nicht bremsen, aber er hätte sich gewünscht,
kurz anzuhalten und nach einem Lebenszeichen zu suchen.
Plötzlich blieb die Frau stehen. Arved hätte beinahe den
Körper des Mannes fallen gelassen. Es gelang ihm gerade noch,
ihn fester zu packen.
Die Frau drehte sich nach ihm um. Panik lag in ihrem Blick.
»Wo steht… Ihr Wagen?«, fragte sie abgehackt und
außer Atem.
Arved gestand kleinlaut seine Unkenntnis ein.
»Ich denke, Sie sind von hier! Sie müssen sich doch hier
auskennen!«, rief sie verzweifelt.
»Ich komme aus Trier«, verteidigte sich Arved. »Ich
war noch nie hier.«
»Ich wollte doch nicht…« Die Frau begann zu weinen.
Arved wusste nicht, ob er den Mann absetzen und sie trösten oder
darauf dringen sollte weiterzugehen. Nach kurzem Überlegen
entschied er sich für Letzteres.
Endlich stießen sie auf einen Weg. Sie hatten beide keine
Ahnung, ob es der richtige war, aber sie waren froh, nicht mehr
zwischen den düsteren Bäumen durch das Unterholz laufen zu
müssen. Die Äste der Buchen und Eichen ragten wie blasse,
vom Mond bezuckerte Finger über den breiten Weg, dessen Grasnabe
einem schlafenden Wurm glich. Arved wusste nicht, wo er war, denn
vorhin hatte es so heftig geregnet, dass er sich keinerlei markanten
Punkt hatte merken können.
Die Frau vor ihm murmelte etwas, das er nicht recht verstand.
Wortfetzen drangen durch die Nachtluft zu ihm. »Nicht
gewollt… selber zuzuschreiben… dummer Kerl… liebe dich
doch… nichts anderes verdient…«
Was mochte zwischen den beiden vorgefallen sein?
Sie gelangten an eine Kreuzung. Die Frau blieb wieder stehen und
legte die Beine ihres Mannes ab.
Auch Arved konnte den Körper nicht mehr tragen. Sanft bettete
er Kopf und Schultern auf der Grasnabe in der Mitte des Weges.
»Sind wir vorhin hier vorbeigekommen?«, fragte er.
Die Frau schaute hektisch in alle Richtungen und streckte die Arme
aus. Es war, als wolle sie die Antwort aus dem Wald herausziehen.
»In diese Richtung«, sagte sie schließlich und
deutete auf einen der Wege. »Schnell.«
Sie packte wieder die Beine und Arved bemühte sich um einen
festen Griff um die Schultern. Er spürte Schmerzen in den Armen;
eine solche Anstrengung war er nicht gewohnt. Er war dankbar
dafür, dass wenigstens der Mond schien und der Regen
aufgehört hatte. Seine Kleidung klebte ihm nass am Körper.
Hoffentlich konnte er diesen Mann retten. Was mochte er haben? Eine
Verletzung war nicht zu sehen. Es wirkte eher wie eine Vergiftung.
Seine Frau schien sich Vorwürfe zu machen.
Der Mann kam wieder zu sich und stöhnte weiter. Immer lauter.
Bis er schrie. »Ich verbrenne! Es tut so weh! Die
Hölle!« Er würgte und bewegte sich heftig. Beinahe
hätte
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