Hexenopfer
war und mit dem Wolfshund spielte. Rasch bereitete er den Tee zu. Als er den Becher durch die Diele trug, dachte er, wie wenig es ihm ähnelte, eine Frau mit zärtlicher, liebevoller Fürsorge zu erdrücken. In seinen Beziehungen waren solche Bemühungen für gewöhnlich auf ihn gerichtet. Frauen pflegten hinter ihm her zu sein, und wenn sie glaubten, auch nur die geringste Chance zu haben, ihn zu schnappen, erdrückten sie ihn mit ihrer Aufmerksamkeit. Zum ersten Mal in seinem Leben war er nun der Gebende und nicht der Nehmende.
Leise schnaubend blieb er vor Gennys Schlafzimmer stehen. Schon komisch, noch nie hatte ihm eine Frau so viel bedeutet, dass er sich mit Bedürfnissen abgegeben hätte, die über sexuelle Befriedigung hinausgingen. Genny war anders.
Herrgott, was für eine Untertreibung!
Als er ins Schlafzimmer trat, saß sie vor dem Kamin auf dem Boden. Sie hatte den Arm um Drudwyns Hals gelegt und streichelte ihn liebevoll.
»Geht’s dir besser?«, fragte er.
Lächelnd schaute sie zu ihm auf. »Mir geht’s gut.« Sie beäugte den Becher in seiner Hand. »Ist der für mich?«
»Heißer Tee.«
»Danke.« Sie nahm den Becher entgegen, führte ihn an die Lippen und trank ein paar kleine Schlucke.
Er strich ihr mit der Hand über das Haar, vom Ohrläppchen bis zur Schulter. »Trink deinen Tee, ich gehe wieder in die Küche und mache zwei Sandwiches für uns.«
»Eigentlich habe ich gar keinen Hunger.«
»Dann isst du eben, so viel du kannst«, meinte er. »Aber du musst etwas essen.«
»Ja, yu ne ga, ich werde gehorchen«, sagte Genny spöttisch.
»Wie hast du mich genannt?«, wollte er wissen.
Genny lachte. »Ich habe dich einen weißen Mann genannt.«
»Na ja, ich bin ein weißer Mann, daher nehme ich mal an, dass es keine Beleidigung war.« Er grinste. »Wie nennt Jacob dich? I gi go? «
» I gi do «, verbesserte ihn Genny. »Das heißt Schwester in der Sprache der Chrokee.«
Plötzlich überkam Dallas Eifersucht, weil sie so viel mit ihrem Vetter Jacob gemeinsam hatte, dass er sogar einen Kosenamen für sie hatte. »Vielleicht sollte ich die Sprache der Cherokee lernen«, sagte Dallas und wollte schon hinausgehen.
»Willst du wissen, wie ich gern von dir genannt würde?«, fragte sie.
Er blieb an der Tür stehen und warf einen Blick über die Schulter. »Wie soll ich dich nennen?«
» A qua da li i. «
Dallas wiederholte die Wörter. »Was heißt das?«
»Das sage ich dir … irgendwann.«
Gennys Lächeln erhellte den ganzen Raum. Zum Teufel, es brachte Licht in seine ganze Welt.
»Ich könnte Jacob fragen.«
»Könntest du. Aber das wirst du nicht tun.«
»Trink deinen Tee«, forderte er sie auf. »Ich bin gleich wieder mit deinem Abendessen da.«
»Ich kann in die Küche kommen.«
»Gut, wenn dir danach ist.«
»Ich komme mit. Ich muss Futter für die Vögel und die anderen Tiere hinausbringen. Sie werden schon darauf warten.«
»Sag mir, wo die Futtersäcke sind, und …«
»Sie nehmen das Futter nicht, wenn jemand anders es berührt hat.«
Dallas verzog das Gesicht. »Das hätte ich mir denken können.«
Als Genny sich erhob und Dallas folgte, trottete Drudwyn hinter ihr her. Sobald sie in der Küche waren, machte sich Dallas daran, ihre Sandwiches zuzubereiten, während Genny auf die hintere Veranda hinaustrat. Sie holte einen großen Futtersack aus einer Holzkiste neben dem Stapel Feuerholz, füllte vier Schalen, die sie aufeinander stapelte und auf den Boden stellte. Nachdem sie ihren Mantel angezogen hatte, hob sie die Schalen hoch.
Die Fliegentür öffnete sie mit einem Hüftschwung. Drudwyn schoss hinaus. Sie nahm die Schalen in beide Hände und ging in den Hof hinunter. Mit lautem Knall schlug die Tür hinter ihr zu. Dallas ließ das Buttermesser fallen, mit dem er gerade Senf auf die Brotscheiben strich, und lief hinter Genny her.
»Genny, warte«, rief er. »Ich will nicht, dass du …«
Der Schuss hallte durch die Stille der Dämmerung. Dallas schrie ihren Namen. Plötzlich hatte er das Gefühl, dass schwere Gewichte an seinen Fußgelenken hingen. Alles schien in Zeitlupe abzulaufen. Er hörte den Schuss. Er hörte seine eigene Stimme, die in seinem Kopf widerhallte. Er sah, wie Genny stehenblieb, sich an die Schulter griff und zur Seite beugte. Er sah Drudwyn, der wie eine Rakete abging und etwas jagte – oder jemanden.
Genny brach zusammen. Als Dallas zu ihr kam, lag sie still und reglos da. Er kniete neben ihr nieder, sah den Blutfleck hinten auf
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