Hexenopfer
auf.
Auf dem Weg zur Hintertür nahm Dallas Gennys schwarzen Mantel vom Haken und hüllte sie darin ein. Kurz darauf saß Jacob hinter dem Lenkrad des großen, bulligen Dodge Ram, und Dallas hielt auf der Beifahrerseite Genny in den Armen.
Jacob beugte sich hinüber, legte die Hand auf Gennys Schulter und sagte: »Okay, i gi do, wo fangen wir an?«
Genny schloss die Augen. Niemand sprach. Niemand rührte sich. Zu hören waren nur drei Menschen, die atmeten. Dann heulte irgendwo in der Ferne ein Wolf. Genny riss die Augen auf.
»Er verlegt sie in diesem Augenblick«, sagte Genny und hob den Kopf von Dallas’ Brust. »Ich sehe eine lange, gewundene Straße. Er bringt sie den Berg hinauf.« Genny seufzte leise und lehnte sich erschöpft an Dallas.
Jacob kurbelte sein Fenster herunter und rief Bobby Joe zu: »Wir müssen sofort ein paar Straßensperren aufstellen lassen. Alle Straßen, die in die Berge führen.« Er kurbelte das Fenster wieder hoch und wandte sich an Genny. »Sonst noch was?«
»Verdammt, sehen Sie denn nicht, dass sie völlig fertig ist?« Dallas funkelte Jacob wütend an. »Sie kann nicht mehr. Was auch mit ihr vorgehen mag, wenn sie macht, was immer es ist, es zehrt ihre Energie auf.«
»Ost«, flüsterte Genny. »Fahr nach Osten.«
Jacob überging Dallas’ beschützenden Ausbruch, setzte zurück, wendete den Pick-up und fuhr direkt hinter Bobby Joe die Auffahrt hinunter. Der Deputy schlug die südwestliche Richtung zur Stadt ein, Jacob die entgegengesetzte.
Kurz darauf räusperte sich Jacob. »Wir halten bei Sally an. Wenn es uns gelingt, in die Nähe von Misty zu kommen, werden Sallys Hunde ihre Witterung aufnehmen.«
»Sie werden etwas brauchen, das …«, sagte Dallas.
»In dem Sack da hinten ist eine ihrer Blusen.« Jacob deutete mit dem Kopf auf den Rücksitz. »Bobby Joe hat sie aus ihrem Haus mitgenommen, als er heute Abend dort war. Der Junge denkt stets voraus.«
Gennys kleiner, zarter Körper lag eingemummt in Dallas’ Armen. Sie war leicht. Ihre Hitze drang durch ihre Kleidung und wärmte ihn. Hatte er sich nicht noch vor knapp einer Stunde geschworen, sich von dieser Frau fernzuhalten?
Aber er konnte ebenso wenig auf Abstand zu ihr gehen, wie das Atmen einstellen. Und er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, warum sie ihn derart in der Gewalt hatte. Vielleicht, weil er allmählich an ihren hellseherischen Hokuspokus glaubte. Wenn Genny recht hatte, wenn ihre Voraussagen richtig waren, könnten sie den Mörder heute Abend ergreifen. Womöglich Brookes Mörder.
Doch zum ersten Mal in acht Monaten – seit Brookes Tod – war ihm plötzlich etwas anderes ebenso wichtig geworden wie die Suche nach dem Mann, der seine Nichte ermordet hatte. Genny zu beschützen. Wenn er die Wahl hätte zwischen Gennys Sicherheit und der Festnahme von Brookes Mörder, wie würde er sich entscheiden? Noch vor wenigen Tagen wäre das keine Frage gewesen. Aber das war, bevor Genevieve Madoc ihn verhext hatte.
15
Er stellte den Wagen auf dem unbefestigten Weg ab und schaltete die Scheinwerfer aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand zu dieser Morgenzeit vorbeikommen und seinen Wagen sehen würde, war gering, aber es lohnte sich nicht, Risiken einzugehen. Die Scheune lag gut fünfzehn Meter von der überwucherten Straße entfernt. Eines Tages, als er im letzten Herbst durch die Gegend gefahren war, hatte er diesen Platz gefunden und ihn sich für die Zukunft gemerkt. Ein verlassenes Gebäude mitten im Niemandsland. Ein perfekter Ort für die Zeremonie.
Hilfreich wäre, wenn der Mond heller schiene, aber er würde sich mit den Taschenlampen behelfen müssen. Bei Tagesanbruch würde er die Scheunentore öffnen, um die Morgensonne hereinzulassen. Freudige Erregung zischte durch seine Adern und versetzte ihm einen Adrenalinstoß. Opfer Nummer drei. Er kam immer näher. Allein der Gedanke daran, was kommen würde, berauschte ihn. Er klappte den Kofferraumdeckel auf, sah nach Misty, um sicherzugehen, dass sie noch bewusstlos war, nahm dann seine schwarze Robe heraus und schlüpfte hinein. Er holte den Holzkasten mit dem Schwert, klemmte ihn sich unter den Arm und griff nach der großen Taschenlampe, die er brauchte, um den Weg zur Scheune zu finden.
Obwohl die Nacht kalt war und an verschiedenen Stellen noch Überreste von Eis und Schnee lagen, spürte er die eisige Luft kaum. Er war stark … und wurde mit jedem neuen Opfer stärker. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er unbesiegbar
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