Hexensabbat
kleine Till war. Seine Schwester war fünf und wurde »Noralein« genannt. Auf den Dias von Heiligabend trug sie ein Kittelschürzenkleid à la Nesthäkchen und niedliche Locken, obwohl sie von Natur aus glattes Haar hatte. Ein Dia und noch eins, der Weihnachtsbaum und die Lichtergirlande und die süßen Teller und an den Türen Tannengestecke, überall war Kerzenflackern und Erhabenheit und Lächeln, die Wohnung und die Menschen darin glichen einem riesigen Weihnachtspaket. Fehlt nur noch das Papier und eine große bunte Schleife drum herum, dachte Anna.
»So«, sagte Erich endlich, »das war’s.« Es hörte sich nicht so an, als ob er genug davon hätte.
»Ist das nicht herrlich«, sagte seine Frau. Es war keine Frage, ihre Stimme klang sehnsüchtig, sie hätte noch mehr davon haben wollen.
Anna schwieg. Bestimmt besaßen die Rumpfs noch kistenweise Dia-Familien-Idylle, sie hatte keine Lust, eine Zugabe zu provozieren. Sie war kurz davor zu explodieren.
»Ihr seid eine glückliche Familie«, antwortete Till und legte locker den Arm auf die Lehne hinter Annas Nacken. »Ihr seid zu beneiden.«
»Kinder sind das Größte«, erklärte Erich. »An solchen Tagen wie Weihnachten spürt man das doppelt und dreifach. Sie entschädigen einen für vieles.« Bei dem letzten Satz sah er Anna an.
»Kinder sind okay«, sagte sie. Ihre Kinder wären anders gewesen, garantiert, so wie die von ihrem Schwager vielleicht, brüllend, wenn sie in die Wanne sollten, nervig, Kinder eben. Wenn schon, dann hätte sie solche Kinder haben wollen. Aber sie hatte keine und wollte keine, das war vorbei. Sie sah zu Till hinüber. Gott sei Dank, dachte sie, es wäre eine Katastrophe geworden.
»Ich hätte nichts gegen eine Familie gehabt«, sagte Till.
Stinkstiefel, dachte Anna. Anschleimer!
»Ihr tut gerade so, als ob ihr keine Familie mehr gründen könntet. Ihr seid noch jung genug.« Erich sah Till an und Anna an, dabei hielt er die Hand seiner Frau fest.
Seine Frau nickte zustimmend. »Manchmal sind wir selbst noch in Versuchung, obwohl wir schon zwei so prächtige Exemplare haben«, ergänzte sie, »nicht wahr, Erich?«
Erich drückte Barbaras Hand fester, dabei wurden seine Augen nachdenklich. Womöglich macht er jetzt Kassensturz, überlegte Anna, ob sie sich noch ein drittes dieser prächtigen Exemplare leisten könnten. Sie hatte einen Geschmack im Mund wie Zuckerguß pur.
Till ließ die Hand von der Lehne hinab auf Annas Schulter gleiten, aus der lockeren Geste wurde fast so etwas wie eine Umschlingung. »Wie wär’s, Liebling? In dreihundertsechsundfünfzig Tagen habe ich wieder Geburtstag! Vielleicht schaffen wir es bis dahin.«
»Schade, daß du nichts eingefroren hast, Liebling.« Anna ruckte mit den Schultern vor, seine Hand fiel auf das Polster.
Eingefroren? stand in Barbaras Augen, aber sie fragte nicht laut, es war ihr wohl zu heikel.
»Duuu …« machte Till spitzmündig. Es sah komisch aus, nicht viel anders als bei einem, der zum Küssen ansetzt. Till wollte sie aber nicht küssen, beileibe nicht, eher umbringen.
»Eingefroren«, wiederholte Anna. »Auf einer hübschen kleinen Samenbank, Liebling.«
»Du Luder! Mieses kleines Dreckstück!«
Er hält die Kuchengabel wie eine Mistforke, ging es Anna durch den Kopf, sie mußte unentwegt auf das geschnörkelte Silber in Tills Hand starren. Sie hatte keine Angst vor ihm, nicht die Spur, es war wie im Theater. Barbara spielte die Naive, sie verschwand mit dem Milchgießer, sie murmelte etwas, und Erich war der Gerechte, der Gute, der Biedermann: »Nicht bei mir, Junge, hörst du! In meiner Wohnung redest du so nicht!« Er schob eine Hand zwischen Till und Anna, schob Till weg und legte die Hand dann schützend auf Annas Arm. Kinder und Frauen zuerst, dachte sie, alte Kavaliersweisheit. Egal was sie daherquatschen, von Samenbänken und tiefgefrorenen Spermien, man muß die Frauen beschützen. Sie hätte am liebsten losgekichert – oder losgeheult, es war kein großer Unterschied, es drängte nur heraus aus ihr, ein paar Kilo Schlamm, in zehn Ehejahren kam eine Menge zusammen.
»Ich bring sie um«, sagte Till, undeutlich, als ob er erst alles wieder in sich sortieren müßte, die Zähne und die Zunge auch. Jetzt kicherte Anna wirklich.
»Nichts tust du«, befahl Erich. »Nichts von alldem.« Er ging hinüber zu der Anrichte und kam mit einem Glasflakon und drei Gläsern zurück. »Trink das«, sagte er zu Till. Er goß ihm ein Glas randvoll, dann schenkte er
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