Hexensabbat
dreimal, es waren ja drei Unterhosen. Als sie den doppelt gelegten Stoff wieder aufklappte, waren da drei sauber ausgeschnittene Mini-Tulpen. Minis für den Mini. Tulpen für den Tulpenfreund. Die Haarspange mit der billigen rosa Plastiktulpe von seiner Tussi legte sie dazu. Er würde sich wundern, wenn er heimkam.
Der Tag verstrich zäh, abends überlegte Anna, ob sie ins Kino gehen sollte. Früher war sie oft ins Broadway oder ins Metropolis gegangen, dort liefen viele Filme im Original, und es war eine andere Stimmung als in den Plüschkinos, locker und auf einem anderen Level, die meisten von der Uni gingen dorthin. Ich geh einfach los, dachte Anna, im Grunde war es egal, welcher Film lief, in dieser Art Kino lief sowieso kein Seich. Nur raus!
Sie ging ins Bad und nahm ihren Kajalstift aus dem Kosmetiktäschchen. Sie zog den grauen Strich am Lidrand entlang, oben und unten, und tupfte ein wenig Lip-gloss auf ihre Lippen, sie fühlten sich spröde an, es gehörte zum Ausgehzeremoniell dazu wie Händewaschen und Kämmen, passierte fast von selbst und wie durch einen Schleier, sie sah sich und sah doch nicht sich, nur die Stelle, wo sie gerade strichelte und tupfte. Sie war schon fertig und streifte im Hinausgehen nur eben ihr Bild im Spiegel, da kamen Tills Worte zurück: »Hast du in letzter Zeit mal in einen Spiegel gesehen?« Sie blieb stehen und rückte nahe heran an das Glas, so nah, daß es einen kreisrund beschlagenen Fleck vor ihr gab. Sie wischte darüber und sah rote Flecken und stumpfe Blässe, Augen in grau gestrichelten Löchern, das war sie. Sie beugte sich vor und drehte den Wasserhahn an und wusch alles ab, nun war es nur noch ein nacktes Gesicht. Dann begann sie sich zu schminken, als wollte sie groß ausgehen, sie benutzte sogar die neue Teintgrundierung, und zuletzt zog sie sich auch noch um, die neue gelbe Ziegeniederweste und dazu eine grauschwarze Seidenbluse und Jeans, die edlen. Dann ging sie endlich aus dem Haus.
Die Ehrenstraße war voller Menschen, lauter Paare, dachte Anna, manchmal waren es auch zwei Frauen. Aber immer zwei. Anna glaubte, man müsse sie anstarren, eine Frau am Freitagabend allein auf der Straße, da war doch etwas faul. Sie war froh, als sie das Kino erreichte und sich in die Warteschlange vor der Kasse einreihen konnte. Als sie auf ihrem Platz saß, wußte sie noch immer nicht, welcher Film lief.
»Ist hier frei?« fragte einer. Anna nickte, rechts von ihr der Sitz war auch frei, eigentlich hatte sie gern Platz um sich herum, aber diesmal war sie erleichtert, jemanden neben sich sitzen zu haben, auch wenn es ein Fremder war. Der Sitz klappte herunter, ein Mantel und noch einer und eine Tasche, der junge Mann benutzte den freien Platz neben Anna für seine Garderobe und die seiner Freundin. Einmal hielt er ihr seine Tüte Popcorn hin, »wollen Sie?« aber dieses »Sie« grenzte Anna ebenso aus wie der Mantelberg, normalerweise duzte man sich hier.
Anna fühlte sich eingekesselt von Stimmen und Knistern, die Werbung und der Vorfilm interessierten nicht, dann flimmerte groß »Geliebte Konkubine« über die Leinwand, das mußte endlich der Hauptfilm sein. Ein erhabenes und auch einsames Bild von zwei Schauspielern auf einer riesigen Bühne und dann in der Rückblende: Blut und Gewalt und Verstümmelung. Der Held war ein Knabe und sollte die Konkubine verkörpern, es war eine tragende Rolle in der Peking Oper, die viel Disziplin verlangte. Der Knabe erlernte die Rolle und wurde erwachsen und berühmt, aber da war er kein Mann mehr und eigentlich auch kein Mensch.
Der Film hatte Überlänge, deshalb gab es eine Pause, die Stimmen rund um Anna ereiferten sich.
Wiederkäuer! dachte sie und stand auf.
»Eine Eistüte, bitte!« sagte sie fünf Minuten später. Sie hatte nur die Straße ein Stück geradeaus weitergehen müssen, diesmal hatte sie nicht auf die Passanten geachtet.
»Mit Schokolade?« fragte der junge Mann mit dem McDonald-Käppi auf dem Kopf.
»Mit viel Schokolade«, antwortete Anna. Sie kaufte sich noch ein Eis und zwang sich, nur noch an das Eis zu denken, hinterher war ihr leicht übel. Das war nicht so schlimm.
»Wir müssen unser Essen vertagen.« Marie sagte »müssen«, aber sie klang aufgedreht. Anna kannte diesen Tonfall an ihrer Schwester, sie hatte ihn gewöhnlich drauf, wenn ein neuer »toller Typ« ins Spiel kam.
»Wie heißt er?« fragte Anna deshalb, sie war noch nicht einmal geduscht, obwohl es fast Mittag war und die Geschäfte
Weitere Kostenlose Bücher