Hexensabbat
früher.
Warum eigentlich nicht? Anna stellte sich Tills entsetztes Gesicht vor. Sie, seine Frau, mitten zwischen Breakdancern, Rappern und Graffiti-Sprayern. Kurzentschlossen packte sie die Rollschuhe in einen Rucksack und zog los. Jetzt war es noch hell draußen.
»Hip-hop«, murmelte sie, sie hatte das Wort aufgeschnappt, es lag in der Luft, es war ein junges Wort. Sie kauerte auf den Treppenstufen am Roncalliplatz, sie hatte gerade ihre Straßenschuhe gegen die Rollschuhe vertauscht. An ihr vorbei glitten und sprangen und wirbelten sie in Kapuzen-T-Shirts, in Schlabberjeans, die an den Knien aufgerissen waren, in Holzfällerhemden und mit Baseball-Kappen oder Wollmützen auf den Köpfen. Anna war sich nicht ganz sicher, was dieses »hip-hop« bedeutete, es hatte etwas mit Protest und Aufbruch zu tun, es war wie dieser Junge da hinten, der sich zu dem rhythmischen Klatschen und Singen seiner Homies verbog, den Kopf dicht über den Steinplatten und immer schneller um die eigene Achse kreiselnd. »Rico kriegt Farne«, sagte einer. Die anderen nickten, man mußte sich anstrengen und abheben, um Farne zu kriegen und hip-hop zu sein. Anna stand vorsichtig von ihrer Treppenstufe auf.
Rollentausch
»Andrea hier. Ich habe Ihren Stopper.«
»Was?« Anna überlegte. Wer war Andrea? Am liebsten wäre Anna gar nicht ans Telefon gegangen, sie hatte gerade die Beine hochgelegt und Kühl-Gel aufgetragen, ihre Knie taten verdammt weh.
»Andrea Flaum. Aus der ‹Blume›. Ich war auch eben auf der Domplatte.«
»Ja«, sagte Anna. »Ich habe Sie gesehen.« Sie war sich nicht sicher gewesen, ob es das Mädchen aus der »Blume« gewesen war. Der schmale Körper gewann auf den Rollerskates eine völlig neue Dynamik, es war nur schwer vorstellbar, daß dieses Wirbelwesen mit dem blassen Geschöpf identisch war, das Anna wegen Till zur Rede gestellt hatte. Eine Weile hatte das Mädchen bei den Breakdancern gestanden; als Ruhe in den Körper kam, war es wieder das Alltagsgesicht gewesen, und in dem strähnigen Haar hatte die Klemme mit der rosa Plastiktulpe gesteckt.
»Ich könnte Ihnen den Stopper vorbeibringen, wenn Sie wollen«, sagte das Mädchen.
»So schnell laufe ich bestimmt nicht mehr auf den Dingern.« Anna war gelaufen, erst langsam und dann immer schneller. Das monotone Schürgeln der Gummirollen auf den Steinplatten war in ihre Beine gestiegen und hoch bis in ihren Kopf, ein Gefühl wie Schwindel. Als Kind hatte sie sich von ihrem Vater an den Händen fassen und im Kreis wirbeln lassen, so ähnlich war es gewesen. Anfangs hatte sie weit vor der Mauer abgebremst, dann nicht mehr. Es war gerade der Kick, sich durch den Wind zu brechen und die sauber abgeteilten Quadrate unter den Füßen zu einem steingrauen Band zusammenfließen zu lassen, bis diese Mauer sich plötzlich hochschob und es im Bauch heiß wurde, schaff ich’s? Stoppen und fast auf der Stelle kreiseln, manche sprangen auch in einer wilden Pirouette in die Wende. Anna hätte nicht sagen können, wie sie ihre Füße setzte. Erst der Aufprall hatte sie zu sich kommen lassen. Ihre Knie waren voll aufgeschlagen, mit den Händen hatte sie sich an der Mauer abgestützt, die Handflächen waren nur aufgeschürgelt. Anna hatte hochgesehen in das Rasen und Wirbeln der anderen, sie hatte nur Körper gesehen, keine Gesichter, die waren weit weg gewesen. »Hast du dir weh getan?« hatte eine Stimme über ihr gefragt, »nein, nein!« hatte Anna geantwortet. Fallen gehörte dazu, sie waren weitergelaufen, dort unten am Boden war das Rollen auf dem Stein ein lautes Geräusch gewesen.
»Ich fand Sie toll«, sagte das Mädchen.
Anna sah auf das Tastentelefon in ihrer Hand. Das Bild von sich auf Rollschuhen rückte nach hinten, das Mädchen am anderen Ende der Leitung schob sich davor. Das Mädchen, das mit Till geschlafen hatte. Eine, die Rollschuh lief und sich nicht lächerlich machte. »Was ist so toll daran, auf die Schnauze zu fallen?« fragte Anna wütend. Sie mußte lächerlich ausgesehen haben.
»Nicht, daß Sie hingefallen sind. Ich finde es toll, daß Sie so was tun. Rollschuhlaufen, meine ich.«
»Oma läuft Rollschuh, wie?«
Es kam keine Antwort. Das Mädchen schwieg.
Was ist schon dabei, dachte Anna. Sie ist zwanzig, natürlich bin ich für sie ziemlich alt, es hat sich sogar angehört, als ob sie das »toll« eben ehrlich gemeint hätte. »Tut mir leid.«
»Okay. Soll ich Ihnen den Stopper bringen?«
»Wenn Sie wollen. Dann können Sie gleich
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