Hexensabbat
stehen. In der Nische zwischen einem Plakat mit drei Frauenköpfen und der Tür hing noch etwas, gerahmt, das Glas reflektierte das unregelmäßige Licht aus den Deckenstrahlern, die Lichtpunkte huschten über die Zeichnung. Anna ging näher heran, sie hatte sich nicht getäuscht: ein kleiner David mit Steinschleuder. Er hatte ein liebes Gesicht und sah nicht so aus, als ob er gleich zum Kampf antreten wollte. Anna suchte nach der Signierung. D. W. stand da, und daneben das Datum. Es war das von jenem Karnevalsdienstag.
»Die Zeichnung«, sagte sie, sie war etwas außer Atem, »von wem ist die?«
Der Wirt sah von seinem Zapfhahn hoch. »Die Zeichnung?« fragte er. Aber dann hellte sich sein Gesicht auf. »Die Zeichnung«, wiederholte er, »die mit dem David und der Schleuder?«
Anna nickte. »Ja, die.«
»Die ist von einem Gast aus Hamburg. Er hat sie mir geschenkt und mich gefragt, ob ich sie aufhängen würde. Gefällt sie Ihnen?«
»Ja. War der Mann hier?«
»Das Bild kam mit der Post. Kennen Sie den Maler?«
»Vielleicht«, sagte Anna und ging zurück zu dem Tisch, schlängelte sich wieder an ihren Platz neben Marie auf der Holzbank und setzte ihr Grogglas an die Lippen.
»Da ist nichts mehr drin«, sagte Marie.
»Wie?« fragte Anna. Sie sah auf das Glas in ihrer Hand. Es war tatsächlich leer.
»Hattest du eine Erscheinung oder so?«
»Nö.« Anna ruckelte auf ihrem Sitz, dann stand sie auf: »Ich glaube, ich muß mal ganz schnell …«
»Ich denke, du kommst gerade vom Klo?«
»Ich hab’s vergessen.«
Hip-Hop
Anna war mitten in der Nacht aufgewacht, schweißnaß. Wenn man das in einem Roman las, hörte es sich dramatisch an, aber sie fühlte sich nur klebrig und verknittert. Ein Glück, daß sie sich nicht im Spiegel sehen mußte.
Sie hatte geträumt, anfangs war es ein schöner Traum gewesen. Bis ihr David mit dem lieben Gesicht seine Steinschleuder verlor, und der Goliath hämisch grinste: »Hast du Probleme?« Anna hatte dazwischenfahren und dem kleinen David helfen wollen. »Der Große gibt nur an!« Sie wollte Till seine Goliath-Maske vom Gesicht reißen, doch im Traum ging das nicht. Zuletzt stand sie allein da mit der Steinschleuder in der Hand, sie hatte das kleine Ding verzweifelt gesucht und endlich gefunden. »David, ich hab sie!« Aber niemand antwortete, und da war sie aufgewacht. Sie versuchte, wieder einzuschlafen, aber sie hatte auch Angst, der Traum könnte zurückkommen. Sie knipste die Lampe neben dem Bett an, lag da, beobachtete die Schatten an der Wand, schließlich stand sie auf, um etwas zu trinken. Wenn sie als Kind einen bösen Traum gehabt hatte, war ihr Vater mit einem Glas Milch gekommen, »das hilft«. Sie würde sich jetzt ein Glas Milch holen und dann weiterschlafen.
In der Küche stand Till. Er stand da und schmierte sich Butterbrote. Es mußte auf fünf Uhr zugehen. Er hatte nicht gesagt, wann er zurückkommen wollte. Anna hatte es geschafft, ihn so weit aus ihrem Kopf zu verdrängen, daß sie nicht mehr bei jedem Bremsen draußen auf der Straße aufhorchte. Es war ihr egal, wann er zurückkam, er kam ja nicht zu ihr zurück. Jetzt war er da, in ihrer Küche, er kam ihr vor wie ein Einbrecher, obwohl es genaugenommen noch immer auch seine Küche war.
»Reizend, daß du mir mein Brot wegißt«, sagte sie. Das Brot war von ihr, und die Butter und der Käse auch. Er hatte sich sogar ein paar Radieschen dazugetan, er hatte sie einfach abgerissen, das Bund mit den Strünken lag neben seinem Teller, die Blätter hingen schlaff und gelb herab. Anna war am Dienstag auf dem Markt gewesen, das war drei Tage her.
»Sonst hast du keine Probleme, wie?« Till biß in das Käsebrot.
Anna beobachtete, wie der Brocken in Tills Mund verschwand und wie sein Adamsapfel bei jedem Kauen mitruckte. Einem Menschen beim Essen zuzusehen konnte ungeheuer aufschlußreich sein. Auch wenn Till den Mund geschlossen hielt, sah es ekelhaft aus, ruckhaft und gierig, ausgerechnet er faselte von Kultur, er sollte sich nur mal selbst kauen sehen, es konnte einem schlecht davon werden. »Probleme«, wiederholte sie, »wenn ich dich nur ansehe, habe ich einen Sack Probleme, du bist sozusagen mein Problem im Sammelband.«
Till sah sie an, von unten nach oben, an ihrem Gesicht blieb er hängen: »Hast du in letzter Zeit mal in einen Spiegel gesehen?«
Anna spürte förmlich die Knitterfältchen in ihrem Gesicht riesig werden, rot und verquollen und wie plissiert, dazu die verschwitzten
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