Hexensabbat
und der Rauch hatten ihn noch weiter weggeschoben. Endlich hatte er ihr den Zeitungsartikel hinübergereicht, stumm, er hatte die Hoffnung auf Versöhnung fast schon aufgegeben. Sie hatte die Zeilen überflogen, eher gelangweilt, aber dann hatte sie sich vorgebeugt und das Blatt in die Hand genommen. »Emil Jung«, hatte sie gemurmelt, er hatte einen Augenblick überlegen müssen, bis ihm einfiel, daß so einer der vier Meisterköche hieß, die für die Passagiere der »MS Britannia« kochen würden. Der Name »Emil Jung« hatte wie ein Aufputschmittel auf sie gewirkt. »Ein Könner.« Sie hatte ausführlich von ihrem Besuch im »Le Crocodile« in Straßburg erzählt. Das Eis war gebrochen gewesen, und Till hatte kurz an Anna denken müssen: Sie hatte sich verrechnet, ihr hinterhältiger Anruf hatte das Gegenteil bewirkt.
»Les Champs Fulliots«, der Sommelier kredenzte die Flasche, Till las die Jahreszahl 1988, er kostete. »Gut«, sagte er, »vorzüglich.« Natürlich war ein Wein für hundertfünfzig Mark die Flasche gut, und Till besaß auch durchaus Weinkenntnisse, nur unter den beobachtenden Blicken des Weinkellners und Anettes gelang es ihm nicht, sich das volle Bouquet zu erschließen. Er hatte zu hastig getrunken, beinahe hätte er aufstoßen müssen.
»Geht es dir gut?« fragte Anette.
»Mit dir immer. Du bist eine wunderbare Frau.«
»Danke.«
Till griff nach ihrer Hand, normalerweise tat er das nicht. Er war sich nie ganz sicher, ob Anette so etwas mochte, bei ihr galten völlig andere Spielregeln als bei den anderen Frauen, die er kannte. Es war anstrengend und schön. Er wollte nichts falsch machen. »Du«, sagte er.
»Ja?« Anette hob den Kopf. Sie hatte eine stolze Art, den Hals zu recken. Der Hals einer Frau verriet ihr Alter, aber Anette sah jung aus, besonders in diesem weichen Licht.
»Du bist sehr schön.«
»Danke.« Sie lächelte und öffnete dabei leicht die Lippen.
Till sah auf die sauber gezogene Kontur ihrer Lippen, Anette hatte, passend zu ihrem Kleid, ein bräunliches Rot aufgetragen, nichts war verwischt, nicht einmal ihr Weinglas war verschmiert. Bei Anna hatte jedes Glas sofort einen roten Halbmond. »Kannst du dir nicht mal einen vernünftigen Lippenstift kaufen?« hatte er oft genug gefragt, aber sie hatte ihn ausgelacht, manchmal hatten sich sogar ihre Zahnkanten rot gefärbt. Das hatte ihn wild gemacht. Er sah wieder auf Anettes Lippen, sie waren sehr gleichmäßig geformt und schimmerten feucht, seine eigenen fühlten sich spröde an, er fuhr mit der Zunge darüber.
»Möchtest du noch etwas trinken?« fragte er.
»Nein danke.« Sie legte ihre Serviette zusammen. Bei Anna war das immer ein Stoffknubbel.
Anette stand auf. »Ich gehe schon mal vor.«
»Reichen dir zwanzig Minuten?« fragte Till. Sie waren den dritten Tag zusammen auf diesem Schiff, er wußte inzwischen, daß Anette sich ungestört waschen und zurecht machen wollte. »Es macht mich verrückt, wenn mir einer zusieht«, hatte sie am ersten Tag gesagt, und er hatte »Entschuldigung!« gemurmelt und war aus der Kabine gegangen. Andere Frauen benahmen sich sehr ungeniert, sobald sie einmal intim mit einem Mann geworden waren. Ramona pinkelte sogar bei offener Tür, »komm ruhig rein«, Till war nicht wild darauf gewesen, im Grunde hatte Anette recht.
Till bestellte sich noch einen Cognac an der Bar. Er verspürte ein leichtes Völlegefühl, es konnte auch an den Knoblauchblütenblättern liegen, die es zum Rinderfilet gegeben hatte, sein Magen vertrug keinen Knoblauch. Er hatte zu Anette hinübergesehen, sie hatte gegessen und keine Miene verzogen, und er hatte es ihr nachgemacht und sich darauf verlassen, daß dieses Gewürz in den Händen eines Meisterkochs etwas anderes war als das Zeug, das ihm nach einem Besuch beim Italiener an der Ecke so schwer im Magen lag.
Als Till die Kabine betrat, lag Anette schon im Bett. Till griff nach dem Lichtschalter und schaltete die Deckenbeleuchtung aus. Dabei fiel ihm ein, daß es, als er das letztemal zu Hause gewesen war, in der Diele stockfinster gewesen war. Er hätte darauf wetten können, daß Anna die Deckenschale nicht abgeschraubt bekam. Er sah Anna vor sich, wie sie sich ins Haus tastete, als wäre sie ein Einbrecher. So jedenfalls hatte sie ihn behandelt, als sie Donnerstagnacht in die Küche gekommen war, als wäre das nicht auch seine Küche. Überhaupt lief das Haus auf seinen Namen, sie sollte sich vorsehen. Sie hatte ihm sogar dieses lächerliche
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