Hexensabbat
damit angefangen hatte, erst leise und dann lauter, bis daraus ein Gurgeln und Japsen wurde. Sie hatten einen regelrechten Lachkoller.
Als es an der Haustür klingelte, war es schon nach neun. Anna öffnete. Ein halbes Glas zuviel, dachte sie, sie mußte sich abstützen, aber schlecht fühlte sie sich nicht, besser als gestern und vorgestern jedenfalls. »Hallo«, sagte sie, dann erst erkannte sie die Frau dort draußen, es war Ramona.
»Ist vielleicht Rüben bei Ihnen?«
Anna kicherte. »Ihr Sohn bei mir? Das war ja noch schöner.«
»Er ist fort.«
»Geliebter fort! Sohn fort! Sie haben Pech.«
»Ist Till wirklich fort?«
»Till verspeist gerade Rotwein-Geleetörtchen vom Frischling.«
»Was?«
»Mein Mann befindet sich auf einem Luxus-Trip mit einer Luxusdame.«
»Er wollte Freitag zurück sein. Er hat Rüben ein Schiff mit Fernsteuerung versprochen.«
»Schiff gegen Dame.«
»Der Junge ist außer sich. Er hat’s ihm versprochen.«
»Warten Sie, ich hab was für Sie!« Der Karton mit Lakritz und Lutschern hatte in der Abstellkammer gestanden, er war noch nicht leer. Es wäre eine coole Geste, dieser Person ein paar Lakritzschnüre anzubieten; vor drei Tagen hatte die sich noch aufgeführt, als wäre Till ihr sicher. Tempi passati! Lover weg! Lakritz weg! Sohn weg! Anna ging zur Treppe und winkte im Vorbeigehen Andrea zu, sie hieß doch Andrea, eigentlich ein hübscher Name. »Bin gleich zurück!« Sie klemmte sich den Karton unter den Arm und ging wieder nach unten. »Hier«, sagte sie, »damit können Sie meinetwegen Ihren Sohn anlocken.«
»Ich kann nicht mehr.« Die Person heulte tatsächlich los, draußen vor Annas Tür, und die Straßenbeleuchtung brannte, die Ampel an der Hauswand auch. Anna hatte keine Lust auf einen Skandal. »Pssst!« Sie zog die Frau ins Haus, was blieb ihr anderes übrig. »Der verdammte Bengel kommt schon wieder.«
Die Frau sah hoch, nicht sehr hübsch, aber wer war schon hübsch beim Heulen. »Glauben Sie?«
»Der Kleine«, sagte Anna. »Der Große nicht, der flattert von hier nach dort, der Sprit reicht nicht.« Sie ließ die Hand abkippen, es war schon verdammt komisch. Jetzt hatte sie zwei Till-Frauen im Haus, bald waren sie ein Verein. Anna dachte an Selbsthilfegruppen, die inserierten doch immer im Tageskalender, sie suchte nach einer griffigen Headline, Tulpenanhänger gesucht, zum Beispiel.
Schiff für Schlemmer
Siebentausendvierhundertneunzig Mark für vier Tage waren kein Pappenstiel. Till hatte eine Luxuskabine auf der »MS Britannia« gebucht; bei einer einfachen Doppelkabine hätte er einen Tausender pro Person sparen können, aber er wollte nicht sparen. Nicht bei Anette. Nicht, nachdem Anna mit ihrem fatalen Anruf im Hotel »Elysee« beinahe alles kaputtgemacht hätte. Wieso hatte sie überhaupt dort angerufen? Er konnte sich noch immer keinen Reim darauf machen. Till glaubte nicht an Vorsehung, doch als er nach diesem Anruf dort unten in der Lobby des »Elysee« gesessen und auf Anette gewartet hatte, war ihm der Artikel über eine »Rhein-Kreuzfahrt für Schlemmer« wie ein Fingerzeig erschienen. Das ist es, hatte er spontan gedacht.
Anette hatte ihn eine dreiviertel Stunde in der Lobby warten lassen. Der Kellner war zweimal gekommen und hatte gefragt, ob er etwas zu trinken bringen dürfe, und der reservierte Tisch im Restaurant sei nun frei. Till hatte überlegt, wer dieser Anselm war. »Ich komme gleich nach, ein wichtiges Telefonat«, hatte Anette oben im Zimmer zu ihm gesagt. Im Hinausgehen hatte er noch ihr »Hallo, Anselm! Ich bin’s!« mitbekommen. Endlich war Anette aus dem Aufzug getreten, in einem klassisch geschnittenen Kostüm und einer Hemdbluse mit Krawattenkragen. So kannte er sie aus der Firma, es war das Bild der erfolgreichen Geschäftsfrau gewesen, kühl und elegant.
Till war aufgestanden, auf sie zugegangen. »Du hast dich umgezogen?«
»Mir war danach«, hatte sie geantwortet.
Ein paar Minuten lang hatten sie schweigend nebeneinander gesessen, bis der Kellner die Getränke serviert hatte. Till hatte sein Glas gehoben, »auf uns«, hatte er gesagt und dann, in ihr Schweigen hinein, »schau mal, wäre das nichts?« Sie hatte an ihm vorbeigesehen und ihre Handtasche aufgeklappt, sie hatte ein goldenes Zigarettenetui herausgenommen, Till hatte bis dahin nicht gewußt, daß sie rauchte. Er hatte sich hilflos gefühlt, weil er als Nichtraucher kein Feuerzeug griffbereit hatte. Die Zigarette zwischen ihren Fingerspitzen
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