Hexensabbat
er.
Anette nickte. »Einer von den üblichen Festtagsanrufen.«
Das Telefon klingelte noch öfter. Jedesmal zuckte sie hoch und verschwand mit dem Apparat nach nebenan. Till hörte immer nur ihr »Anette Schmucker hier«, bevor sich die Tür hinter ihr schloß. Und jedesmal kam sie mit diesem hungrigen Ausdruck zurück. Till fiel ein, daß er noch immer nichts gegessen hatte. Inzwischen ging es auf sechs Uhr zu. Er konnte sich nicht erinnern, wann er es zuletzt so lange nüchtern ausgehalten hatte. Er konnte sehr unwirsch werden, wenn er nichts im Magen hatte. Anna kannte das. »Ich bin kein Hotel«, hatte sie ihn angefahren, wenn er am Wochenende ungeduldig geworden war, weil sie endlos herumgetrödelt hatte, statt etwas zu kochen. »Ich habe auch Wochenende, mach dir selbst was, ich bin nicht deine Kantine!« Natürlich war sie das nicht, aber jede normale Frau hätte Verständnis dafür gehabt, daß er an geregelte Mahlzeiten gewöhnt war. In der Woche aß Till regelmäßig im Kasino, das war die Kantine für leitende Angestellte. Zwischen zwölf und zwei Uhr konnte er dort täglich zwischen drei Menüs wählen, und Kleinigkeiten gab es außerdem.
»Was hältst du davon, wenn wir gleich irgendwo schick etwas essen gehen«, schlug Till vor. Jetzt wo er vom Essen sprach, wurde ihm regelrecht mulmig im Magen.
Anette zögerte. »Ich habe für heute abend eine Einladung zu einer Gala. Wenn du willst, kannst du mich begleiten.«
Eine Gala? Hoffentlich war sein Smoking in Ordnung. Garantiert trug man Smoking. Anna brachte es fertig, einen Anzug verdreckt oder knittrig in den Schrank zurückzuhängen. Er war sich nicht mehr sicher, wann er seinen Smoking zuletzt angehabt hatte.
»Liebend gern«, sagte Till, »schaffen wir das denn noch?«
»Müßte«, antwortete Anette mit einem Blick auf die Uhr. »Der Flieger geht in eineinhalb Stunden.«
»Der Flieger?«
»Die Gala findet in Hamburg statt. Es ist quasi eine Veranstaltung zu Ehren der Kochmützen-, Sterne-, Goldene-Löffel-Träger. Du kannst es auch Selbstbeweihräucherung nennen, aber im allgemeinen ist es ganz lustig.«
Till unterdrückte die Frage, ob es eine internationale Veranstaltung war. Bestimmt war es das. Dieser Anselm war der Maitre eines Vier-Sterne-Restaurants. Anette fragte ihn, Till, ob er sie begleiten wolle. Natürlich wollte er.
»Ich eile.«
»Wir treffen uns am Flughafen.«
»Okay.« Sie hatte recht, es war praktischer so.
»Scheißkarre«, fluchte Till. Er befürchtete schon, sein Wagen würde nicht anspringen. Aber dann zog er Gott sei Dank doch durch.
Zuhause riß Till seinen Handkoffer aus der Abstellkammer, er hatte Anette nicht einmal gefragt, ob sie übernachten würden, Gott sei Dank hatte er für Dienstagmorgen keinen wichtigen Termin, er müßte nur in der Firma Bescheid sagen, daß er nicht kam. Mit dem Koffer verließ er das Haus, ihm blieben noch dreißig Minuten, das mußte zu schaffen sein. Gerade als er den Deckel seines Kofferraums aufklappte, wurde er von hinten angesprochen. Er fuhr zusammen.
»Du?« fragte er. Es war Ramona.
»Du verreist?« Ihre Unterlippe zitterte. In ihrem ausgeleierten Pulli hielt sie wahrlich keinem Vergleich mit Anette stand. Sie brachte es fertig, ihm auf offener Straße eine Szene zu machen.
»Ganz recht, ich verreise«, sagte Till und schob Ramona beiseite. Mit einem Schwung beförderte er seinen Samsonite in den Kofferraum, es war einer, der als Handgepäck im Flieger zugelassen war, daran hatte er gedacht.
»Und ich?«
»Du nervst.« Till ging zur Fahrertür, stieg ein, startete, ohne sich noch einmal umzusehen.
Ramona! Andrea! Was waren sie gegen eine Frau wie Anette? Mal schnell eben mit dem Flieger zu einer Gala nach Hamburg. Das war’s, das hatte Stil. Jet-set, zum ersten Mal hatte er selbst ein Bild davon, es gefiel ihm nicht übel. Anna! Bei dem Gedanken an sie wuselte es wirr in ihm: Sie sollte ihn nur sehen! Sie war selbst schuld! Sie hätte es anders haben können! Im Rückspiegel versuchte er, noch einen Blick auf sein Haus zu erwischen, aber es war zu spät, er sah nur noch das Nachbarhaus hinter sich verschwinden.
Die Marmorhallen-Lady
Komisch! Anna setzte ihre Bechertasse mit Kaffee auf dem Eßtisch ab und griff nach der Illustrierten. Till mußte sie liegengelassen haben.
Anna hatte eben vergeblich versucht, Till aus der Reserve zu locken. Er war aus dem Badezimmer gekommen, und sie hatte ein lautes Schnüffeln in seine Richtung produziert und gesagt: »Neues
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