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Hexenspiel. Psychokrimi: Ein Psychokrimi (German Edition)

Hexenspiel. Psychokrimi: Ein Psychokrimi (German Edition)

Titel: Hexenspiel. Psychokrimi: Ein Psychokrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Koch
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beiden großen Gasträumen herrschte Bierzeltstimmung. Wagner kannte die Hälfte der Gäste. Es waren Mitglieder des örtlichen Sparvereins, die ihre Jahreshauptversammlung abgehalten hatten und nun offensichtlich wild entschlossen waren, ihr gesamtes angespartes Kapital auf einmal zu verfeiern. Die andere Hälfte der Gäste war, ihrer Sprache nach zu schließen, eine Busladung schwedischer oder dänischer oder norwegischer Touristen, lauter groß gewachsene junge Männer, vermutlich Sportstudenten oder Mitglieder einer Basketballmannschaft, welche die im Vergleich zu ihrer Heimat geradezu lächerlich niedrigen Alkoholpreise nutzten, sich mit Bier und Schnaps voll laufen zu lassen. Christina und der Wirt hatten alle Hände voll zu tun, und wie es aussah, bis weit über die offizielle Sperrstunde hinaus.
    Trotzdem wollte Wagner nicht nachhause. Was er heute erleben musste, hatte ihn verstört, verwirrt, verärgert und ratlos gemacht. Normalerweise konnte er sich beruhigen, indem er sich auf seinem Fahrrad auspowerte. Er war stundenlang durch die Gegend gefahren in der Hoffnung, dadurch wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Aber dieses Mal hatte das überhaupt nichts gebracht, im Gegenteil, er fühlte sich aufgewühlter als zuvor. Alleinsein würde die Sache jetzt nur noch schlimmer machen. Er musste die Geschichte loswerden. Er brauchte jemanden zum Reden, einen Menschen, der ihn verstehen würde. Und dieser Menschwar Christina, wer sonst, das schien ihm das Natürlichste und Selbstverständlichste auf der Welt zu sein. Und jetzt wollte er sie wenigstens sehen, wollte das Gefühl haben, dass sie in seiner Nähe war, wenn er schon nicht die Möglichkeit hatte, mit ihr zu reden. Und vielleicht würde sich ja doch noch die Gelegenheit ergeben.
    Er setzte sich in die Schankstube an einen Tisch, von dem aus er durch die breite, geöffnete Schiebetür in den Gastraum sehen konnte. Drinnen waren die Tische für die Versammlung des Sparvereins zu einer langen Tafel zusammengerückt worden, aber die strenge Sitzordnung hatte sich längst aufgelöst. Die Gäste saßen in Gruppen beisammen, prosteten einander ununterbrochen zu, und fast jeder gebrüllte Satz wurde mit wieherndem Gelächter quittiert. Man schien bereits in der Phase der zotigen Witze angelangt zu sein, und als er genauer hinsah, fiel Wagner auf, dass unter den Gästen keine einzige Frau war. Die Frauen waren wohl schon gegangen, entweder angewidert oder weil sie ihre Männer nicht dabei stören wollten, die Sau rauszulassen, und ihnen einmal im Jahr dieses Vergnügen gönnten. Dafür hatten sich bereits die ersten jungen Nordlichter unter diese Ansammlung rotgesichtiger, verschwitzter Einheimischer gemischt, und die allgemeine Verbrüderung mit Slibowitz und Vogelbeerschnaps war voll im Gange, weil Saufen offenbar immer noch die beste Methode der Völkerverständigung war, über alle Sprachgrenzen hinweg. Auch das Rauchverbot wurde konsequent ignoriert, und mittendrin in der von Alkoholdunst, Zigarettenrauch und dumpfblöden Alphatiersprüchen geschwängerten Atmosphäre tat Christina ihre Arbeit. Leerte Aschenbecher aus, räumte leere Gläser auf ein Tablett, nahm Bestellungen auf – ruhig, freundlich und mit einem bezaubernden Lächeln, als wäre es für sie das reinste Vergnügen, einen Haufen Besoffener zu bedienen. Na, hoffentlich bringt’s ihr wenigstens eine schöne Stange Trinkgeld, dachte Wagner.
    Christina bemerkte ihn erst, als sie zum zweiten Mal in die Schankstube kam, um frisches Bier zu zapfen.
    „Hallo, Klaus. Sitzt du schon lang hier?“
    Sie lächelte, aber ihr Lächeln war jetzt angestrengt, fast gequält.
    „Paar Minuten. Ist schon okay.“
    Christina stellte ein volles Bierglas nach dem andern auf ihr Tablett.
    „Auch eins?“
    „Nein, danke. Du weißt schon.“
    „Alles klar. Moment noch.“ Sie stemmte das Tablett mit beiden Händen hoch und blies sich schnell eine Haarsträhne aus der Stirn. „Sorry, aber du siehst ja, was hier los ist.“ Wagner blickte ihr nach, und als sie drinnen die Gläser einzeln vor die Gäste stellte, die den Biernachschub mit lautem Gejohle in Empfang nahmen, schien es ihm, als würde sie wieder ganz anders lächeln, anders als sie ihn angelächelt hatte. Unverkrampfter. Netter. Aber vielleicht auch nur professioneller. Für sie gehört Lächeln einfach zum Job, dachte er. Und Job ist Job, auch wenn man sich dabei manchmal noch so beschissen fühlen mochte.
    So beschissen, wie er sich heute Nachmittag

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