Hexenspiel. Psychokrimi: Ein Psychokrimi (German Edition)
Polizeidienst aufgenommen zu werden. Und bald darauf hatten sie das Grundstück gekauft, für einen Pappenstiel, aber verschuldet hatten sie sich trotzdem für Jahrzehnte.
Beim Bauplan hatte ihnen ein ehemaliger Schulkamerad Ludwigs geholfen, der Bauzeichner gelernt hatte. Gemeinsam mit anderen Freunden hatten sie die Baugrube ausgehoben und das Fundament zementiert. Und dann hatten sie ihr Haus gebaut. Das Erdgeschoß mit alten Ziegeln von Abbruchhäusern. Tagelang war sie damit beschäftigt gewesen, den alten Mörtel von den Ziegeln abzuklopfen und mühsam abzukratzen, aber es waren gute Ziegel gewesen, stabil und vor allem billig. Ein Polizeikollege Ludwigs war früher Maurer gewesen und hatte nun mitgeholfen, die Mauern hochzuziehen. Ein anderer war Bauzimmerer gewesen, wieder ein anderer Elektriker. Und Ludwig hatte geschickte Hände, und mit der Zeit hatte er sich all die Fertigkeiten und Kenntnisse angeeignet, die man braucht, um ein Haus zu bauen. Ein schönes, kleines Haus. Mit weißem Rauverputz und einem Stockwerk aus dunkel gebeiztem Eichenholz und einem Giebeldach mit roten Dachziegeln und mit dunkelgrün gestrichenen Fensterläden.
Vier Jahre lang hatten sie gebaut, an jedem Wochenende, an jedem Feiertag, in jeder freien Stunde, halbe Nächte, bei jedem Wetter. Und sie hatte alles gemacht, hatte Mörtel gemischt und Kübel geschleppt und Dielen geschrubbt und Wände gestrichen und Gardinen genäht und im Garten die ersten eigenen Paradeiser gepflanzt und ein Jahr darauf Ribiselstauden und einen Zwetschkenbaum. Und sie war glücklich gewesen. Glücklich und voll Zuversicht.
Nein, einfach und leicht war es nicht gewesen, aber irgendwann besaßen sie es: ihr eigenes Haus, ihre eigene Familie, ihr eigenes Leben.
Also, was sollte ihr schon passieren? Sie hatten ihr den Strom abgedreht, aber sie würde wieder überleben. So furchtbar wie imLuftschutzkeller konnte es gar nicht werden. Die Tage waren hell. Sie hatte Wasser. In der Speisekammer standen Gläser voll selbst gemachter Marmelade. Sie würde nicht verhungern. Das Zeug, das jetzt im Kühlschrank schlecht wurde, hatte sie ohnehin nicht gemocht. Und letzte Nacht hatte sie Ludwigs Briefe wieder gefunden.
Ja, sie hatte hier alles, was sie brauchte. Und sie würde das Haus bestimmt nicht verlassen. Nicht, solange die beiden da draußen im Garten waren und das Haus belauerten. Wie hinterhältige Wilddiebe, die darauf warten, dass ihnen ein Tier in die Falle geht, das sie dann ganz einfach packen und fortbringen können. Denn genau das hatten sie mit ihr vor, das wusste sie. Wozu sonst wäre es gut gewesen, ihr den Strom abzudrehen? Doch nur, weil sie sehen wollten, wie lange sie durchhalten würde. Aber sie würde lange durchhalten. Fünf Tage, fünf Jahre. Wie damals.
Sie würde einfach Ludwigs Briefe lesen, und dann würde auch die Angst wieder verschwinden. Außerdem hatte sie ja noch sein Lieblingslied. Selbst wenn sie die Schallplatte jetzt nicht mehr spielen konnte. Das Lied war in ihrem Kopf, sie konnte es singen. Immer wieder konnte sie es singen
. Vor meinem Vaterhaus steht eine Linde, vor meinem Vaterhaus steht eine Bank, und wenn ich sie einst wieder finde, dann bleib
ich
dort mein Leben lang.
Unser Haus, Ludwig. Unser Lied.
Was konnten die beiden da draußen schon davon wissen, dass sie etwas besaß, das immer wieder stärker sein würde als ihre Angst? Sie würde einfach warten. So, wie sie im Luftschutzkeller gewartet hatte. Und so, wie sie auf Ludwig gewartet hatte. Und alles war gut geworden.
E ntweder war er plötzlich wahnsinnig und hatte Halluzinationen, oder er befand sich schon wieder in einem Albtraum, alles andere kam für Wagner einfach nicht in Frage. Oder doch, eine Möglichkeit gab es noch: Er war in einen Horrorfilm geraten. In eines dieser abgrundtief schlechten Machwerke, die er schon früher nie gemocht hatte, weil nichts an ihnen logisch oder glaubhaft ist. Und es konnte sich doch wirklich nur um so einen total beschissenen Film handeln, wenn er schon damit anfängt, dass Wagner seine tote Schwester auf einem roten Kinderfahrrad die Straße entlang fahren sieht.
Und während er Julia nachblickt, die aus dem Reich der Toten gekommen ist und jetzt um die Ecke biegt und verschwindet, wie eine Minute davor Christina, hört er hinter sich im Haus die Stimme seiner Mutter, die auf einmal dieses fürchterliche Lied singt, diesen entsetzlichen Schmachtfetzen, den er sich schon vor über vierzig Jahren immer anhören
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