Hexenstein
überrascht vorfinden und sauber fotografieren. Die Medien zischen dann voll drauf ab und Politiker bekommen jeden Tag fünf Gelegenheiten ein Interview zu geben. Eine Sonderkommission in München übernimmt den Fall; nach einigen Wochen interessiert es niemanden mehr und wir? – haben unsere Ruhe.«
»Ruhe …«, wiederholte Lydia Naber und ging nicht auf Wenzels Anspielung ein. »Haben wir eigentlich schon was Näheres über dieses Ehepaar vom Oberen Schrannenplatz, diese große Schwarzhaarige mit ihrem glatzköpfigen Mann?«
Schielin kniff Augen und Mund zusammen. Er war noch nicht dazu gekommen.
»Große Schwarzhaarige … Mann mit Glatze«, wiederholte Wenzel.
Lydia Naber nutzte die Gelegenheit. »Hätte mich ja auch gewundert, wenn dir zu einer großen Schwarzhaarigen nichts eingefallen wäre … , wobei letzte Woche im Edeka, diese Blonde, war das deine Großnichte … , so vom Alter her würde es ja hinkommen.«
Wenzel überhörte es. »Kenne ich glaube schon. Oberer Schrannenplatz passt auch. Das müssten die Hendlers sein. Kulturell überall mit dabei.«
Schielin notierte hinter dem ersten Eintrag in seinem Notizbuch Hendler und fragte in Richtung Wenzel. »Da fällt mir noch ein. Habt ihr die Zeitung, die am Tisch lag, mit zu den Spuren genommen? Wäre gut, um festzustellen, wer das Ding ins Haus geholt hat. Sie oder er. Falls das möglich ist.«
Er machte einen Haken hinter dem Eintrag in seinem Notizbuch.
»Du setzt also auf den schwarzen Van mit St. Galler Kennzeichen«, stellte Kimmel fest, der dem Gespräch aufmerksam gefolgt war.
»Vorerst ja. Die Kollegen in St. Gallen haben die Daten schon. Ich hoffe, es gibt nicht zu viele von der Sorte da drüben.«
Robert Funk schüttelte den Kopf. »Und die Kinkelin hat von dem schwarzen Van nichts mitbekommen? Das kann ich mir gar nicht vorstellen, so wie die ein Auge auf das Haus hat.«
»Habe ich mir auch schon gedacht, aber sie hätte ganz sicher davon erzählt, wenn sie es gesehen hätte. Wir werden da noch mal nachfragen.«
»Dann wird das also wieder ein Wochenende, das den Namen nicht verdient«, stellte Kimmel fest und stand auf, »aber bei uns gibt es ja eh kein Wochenende und keine Feiertage. Morgen früh also Besprechung um zehn. Ach ja, noch etwas. Wir werden im Lauf der nächsten Woche Besuch aus München bekommen Jemand aus dem Ministerium. Es geht um irgendeine Zertifizierung, oder so. Er will sich die Dienststelle ansehen.«
Die anderen sahen ihn fragend an. Kimmel zuckte nur mit den Schultern. Er hatte auch keine Ahnung, was sich dahinter verbergen konnte, und seit geraumer Zeit, genauer seit dem Beginn der grandiosen bayerischen Verwaltungsreform, hatte er aufgehört sich Gedanken über die Sinnhaftigkeit dessen zu machen, was aus München kam. Mit zunehmender Resignation hatte er feststellen müssen, dass sich eine neue Schicht in der öffentlichen Verwaltung etablierte – es war eine mächtige Schicht, ein völlig neuer Bereich, der jeglicher Kritik entzogen war. Robert Funk hatte einmal gesagt, es seien Bürokratroniker und Kimmel musste ihm recht geben. Ja, es waren Bürokratroniker. Und gegen die waren die alten Bürokraten regelrechte Waisenknaben. Diese neue Elite agierte mit der Macht ihrer Systeme. Und in diesen Systemen gab es keine menschliche Kommunikation, kein Fehlen, kein Retour, kein Überlegen. Kimmel hatte die Befürchtung, dass diese neue Elite im Kern undemokratisch war.
Erich Gommert nölte im Besprechungszimmer herum. »Will sich die Dienststelle ansehen. Aus München … ja, wer für so was Zeit hat, ist doch übrig, oder? So einer fehlt doch net, wenn er weg ist aus seinem Büro. Das haben die jetzt von ihrer Reformiererei. Jetzt werden die Übrigen herumgeschickt, um sich ein bisschen umzusehen. Hat ja so kommen müssen.«
Wenzel grinste hämisch.
»Das mit dem Schacht geht mir nicht aus dem Sinn«, sagte Funk.
»Wo der in der Nacht abgehaut ist«, fiel Gommert sofort ein, »des war auch net es erste Mal in Lindau.«
»Was?«, fragte Wenzel.
»Na, dass jemand durch so geheime Gänge abgehaut ist.«
»Also mir fällt da nichts ein!«
»Da warst du auch net dabei. Ich ja auch net. Aber auf der Insel, da war gleich nach dem Krieg auf dem Sängerhallenplatz, und in der Sängerhalle selbst auch, ein Gefangenenlager für des Nazigesindel, und für Soldaten, und was halt so festgesetzt worden ist. Das war genau da, wo heute der Inselhallenparkplatz ist. Drüben am Alpengarten, da war früher eine
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