Hexenstein
unterwegs, so ein amerikanischer VW-Bus.«
Lydia Naber lächelte. »Was machen Sie denn beruflich, Frau Seipp, denn ich denke nicht, dass Sie bei Herrn Kohn ein Gehalt bezogen?«
Sie schmunzelte. »Nein. Ich habe von Herrn Kohn keinerlei Zahlungen erhalten. Es wäre in diesem Fall umgekehrt auch angebrachter gewesen, denn es ist nicht selbstverständlich jemanden zu finden, der bereit ist sein Wissen zu teilen. Nein, ich lebe von anderen Einkünften. Ich gebe … Kurse. Schwierig, mit einem Wort zu beschreiben, was deren Inhalt ist. Diese Seminare sind für Menschen, die sich persönlich weiterentwickeln wollen.«
Lydia Naber wäre beinahe ein zynisches töpfern also entfahren, schluckte es aber hinunter. Stattdessen fragte sie: »Vielleicht etwas konkreter?«
»Rhetorik und Motivation.«
Also doch, dachte Lydia Naber. Sie hätte das Gespräch auf das letzte Wochenende und den Montag lenken wollen, doch aus einem unerfindlichen Grund unterließ sie es. Ein Gefühl, einfach so. Sie schwieg und wollte warten, wie lange Nora Sepp es aushalten würde, still neben einem fremden Menschen zu sitzen. Die fragte aber gleich und voller Sorge nach dem Verbleib von Carmen Kohn.
Lydia Naber erklärte ihr in groben Zügen die Situation.
Nora Seipp fragte ungläubig nach. »Soll das heißen, Sie haben keine Ahnung, was mit Frau Kohn geschehen ist und wo sie sich befindet?«
Lydia Naber war erstaunt, denn diese Gefühlsregung hätte sie der beherrschten Rothaarigen nicht zugetraut.
»So könnte man es ausdrücken«, lautete ihre Antwort.
Nora Seipps Finger strichen in einer verlorenen Bewegung über ihre Lippen, doch gleich hatte sie sich wieder im Griff und legte die Hand beiseite, wie ein Ding.
Sie macht sich wirklich Sorgen, dachte Lydia Naber.
*
Schielin saß am Schreibtisch und telefonierte, als Lydia Naber ins Büro zurückkam. Sie setzte sich ihm gegenüber und wartete unaufdringlich, bis er das Telefonat beendet hatte und mit einem gelangweilten »Und?« nach Neuigkeiten fragte.
Er kannte Lydia Naber lange genug, um aus der betont neutralen und sachlichen Weise, in welcher sie über ihr Gespräch mit Nora Seipp berichtete, zu entnehmen, dass sie der Frau gegenüber äußerst skeptisch eingestellt war.
»Du magst sie nicht«, sagte er.
»Nein, das ist es nicht. Ich fand sie sogar sympathisch, so auf das erste Kennenlernen hin und nach dem anfänglichen Blabla. Aber je genauer meine Fragen wurden, desto beherrschter wurde sie. Zweimal hatte sie ein Problem mit der Antwort darauf. Da hat sie ihre Starre kurzzeitig nicht durchhalten können. Gestört hat mich, wie sie sich positioniert hat. Völlig dominant. Hat sich da an den Tisch gehockt, als wäre sie diejenige, die bestimmt, wo es langgeht. Wir werden da noch mal nachhaken.«
»Das machen wir. Ich habe sie ja nur kurz gesehen, aber sie scheint grundsätzlich ein besonders durchsetzungswilliger Typ zu sein, so auf den ersten Blick und ganz ohne Blabla.«
Seine Kollegin nickte. »Schade, schade. Das wäre was für Wenzel gewesen. Der hätte Tänzchen veranstaltet. Stattdessen muss er da oben in Memmingen mit dem muffligen, alten Landgerichtsdottore Leichen betrachten.«
»Wenigstens hat er es da kühl«, meinte Schielin und berichtete von seinem Telefonat mit dem Jugendamt. Die Sachbearbeiter dort waren etwas spröde, weil bei Anrufen der Polizei das latent schlechte Gewissen der Profipädagogen Adrenalin zugeführt bekam. Schielin erfuhr nicht viel mehr als die Bestätigung seiner Ahnung: Die Familie Haubacher war dort bekannt und erhielt öfters Besuch von verständnisvollen Sozialpädagogen. Den Grund für die Besuche hatte er nicht herausbringen können. Datenschutz. Dafür hatte er etwas wirklich Interessantes bei einem anderen Telefonat mit einem Bekannten, der bei der Sparkasse arbeitete, erfahren. Vertraulich und selbstverständlich in Erwartung eines noch nachzureichenden richterlichen Beschlusses, der die Auswertung aller Kohnschen Bankdaten erlaubte. Gundolf Kohn, Kunde der Sparkasse Lindau, war am vergangenen Montag, gleich früh gegen neun Uhr, auf der Bank gewesen und hatte dort fünfzehntausend Euro in bar abgehoben, in großen Fünfhunderterscheinen. Wofür Kohn die hohe Summe benötigte, konnte Schielins Bankbekannter nicht sagen. Er wusste jedoch, dass es nicht für Beschaffungen sein konnte, die mit Gundolf Kohns Tätigkeit als Restaurator zu tun hatten. In diesem Bereich liefen die Zahlungen von Anfang an ausschließlich
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