Hexensturm
Privilegien niemals so missbrauchen.«
»Das Leben in den Drachenreichen ist nicht leicht, oder?«
»Nein.« Als die Zofe wiederkam – ich bekam ihren Namen nie mit, vielleicht hatte sie auch keinen offiziellen –, war Smoky vollständig angezogen. Sie brachte mir ein ähnliches Kleid wie das erste, aber es war kürzer und saß besser. Ich staunte über den außergewöhnlich gewobenen Stoff. Er war warm, aber beinahe so fließend wie Seide.
»Das Kleid ist wunderschön. Danke sehr.« Ich lächelte sie herzlich an, und sie erwiderte das Lächeln, bevor sie hinausstürzte und gleich darauf mit einem großen Tablett voll Fleisch, Käse und Brot zurückkam. Wir aßen schweigend.
Als wir gerade an den letzten Bissen kauten, erklang ein weicher Gong. Smoky stand auf und bedeutete mir, ihm zu folgen. »Wir müssen gehen. Die Glocke bedeutet, dass der Rat in Kürze zusammentreten wird.«
Als wir zur Tür hinausgingen, fragte ich mich, was jetzt wohl geschehen würde. Und wie. Zerrbilder huschten mir durch den Kopf, Hytos höhnisch grinsendes Gesicht, seine grapschenden Hände … Doch dann erreichten wir den Ratssaal, und alle Grübelei erledigte sich von selbst.
Mitten im Saal lag Hyto in seiner Drachengestalt auf dem Boden. Seine Schwingen waren auf dem Rücken verschnürt, in einem starren Gestell aus Stahl, Holz und Tauen. Dieser Rahmen hielt die Schwingen in einer Position, die schmerzhaft sein musste. Ein dicker Knebel steckte in seinem Maul, an der langen Schnauze fixiert, und er konnte nichts tun, außer sich zappelnd auf dem Boden zu winden. Trotz all seiner Vergehen war ich entsetzt, als mir bewusst wurde, wie viel Demütigung und Schmerz ihm das bereiten musste. Doch dann flackerte die Erinnerung daran auf, wie ich zu seinen Füßen herumgekrochen war … Mein Entsetzen verflog, und ich seufzte tief.
Auf dem Podium waren fünf Silberdrachen versammelt, und der mittlere war der größte Drache im ganzen Saal. Das musste der Schwingenfürst sein. Die anderen strahlten ebenfalls Adel aus, und ich nahm an, das müssten die übrigen Ratsherren sein. Der Kaiser war nirgends zu sehen.
Ich beobachtete, wie die Ränge sich mit Drachen füllten, die meisten von ihnen in ihrer angeborenen Gestalt. Vishana stand ein wenig abseits, ebenfalls in Drachengestalt, und als Smoky sie entdeckte, trat er zurück, und binnen Sekunden hatte auch mein Mann sich verwandelt.
Allmählich kam ich mir recht auffällig vor.
Nach ein paar Minuten stieß der Schwingenfürst ein lautes Brüllen aus, und Glockenklang hallte durch das Amphitheater. Alle wurden still. Dann folgte eine kurze Ansprache, die ich nicht verstand. Gleich darauf schimmerte der Saal, und der gesamte Rat, Smoky und seine Mutter nahmen Menschengestalt an. Der Schwingenfürst ergriff wieder das Wort in der fremden Sprache, und Hyto zappelte schwach. Die Verschnürung seiner Schwingen drückte ihn inzwischen vollends auf den Boden nieder. Eine Gruppe von Männern, anscheinend Wachen, traten vor, entfernten das Gestell und hielten ihn in Schach. Hyto warf mir einen langen Blick zu, sagte aber nichts und rührte sich nicht. Er forderte mich nur mit diesem Blick heraus.
Der Schwingenfürst begann in einer Sprache zu reden, die ich verstand.
»Wir halten unsere Versammlung heute in dieser Form ab, weil die Schwiegertochter der Klägerin, die diesem Prozess beiwohnen wird, nicht von unserer Art ist. Sie ist jedoch durch Heirat in unsere Gesellschaft eingebunden und hat daher das Recht, an dieser Versammlung teilzunehmen.«
Ich hätte mich gern bedankt, entschied mich aber dafür, lieber den Mund zu halten. Allzu leicht konnte ich irgendwie ins Fettnäpfchen treten und die Gemüter erhitzen.
Als der Schwingenfürst etwas aus einer Schriftrolle vorlas, schweiften meine Gedanken ab. Das hörte sich an wie eine unglaublich langweilige Liste von Regeln und Vorschriften, und obwohl ich höflich und aufmerksam bleiben wollte, hatte ich nicht mehr die Kraft dazu. Ich war müde. Ich hatte immer noch Schmerzen, und ich machte mir Sorgen um die anderen. Ob sie mich für tot hielten? Oder versuchten meine Schwestern verzweifelt, mich aufzuspüren?
Eine Stunde später wandte der Schwingenfürst sich mir zu, und ich war mit einem Schlag wieder hellwach. Verglichen mit Hyto sah er geradezu alt aus. Ich konnte mich kaum mehr aufrecht halten – ich war fix und fertig und schon ganz wirr im Kopf. Er lächelte, was bedeutete, dass er wüst die Zähne bleckte.
»Ihr ertragt
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