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Hexentage

Hexentage

Titel: Hexentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Wilcke
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uns das bitte genauer«, bat Martin Gosling.
    »Nun, ich möchte zunächst den Artikel 58 erwähnen, der vorschreibt, daß die Tortur nach gutem und vernünftigem Ermessen angewandt werden soll. Ich wurde jedoch Zeuge, wie die Angeklagten in ungebührlicher Weise körperlichen Qualen ausgesetzt wurden. Die Folter zog sich über mehrere Stunden hin und wurde nicht eher gemildert, bis man den freien Willen der Frauen gebrochen hatte. Eine andere Verfehlung sehe ich aber darin, daß den Angeklagten das Geständnis anhand von Suggestivfragen entlockt wurde, die diese nur zu bestätigen brauchten, um die gestellte Behauptung als Aussage in das Protokoll aufzunehmen. Oftmals gaben sich die Kommissare bereits mit einem einfachen Nicken zufrieden. Damit wurde eindeutig gegen die Artikel 54 und 56 verstoßen, welche die Anwendung von Suggestivfragen klar untersagen.«
    »Wärt Ihr bereit, dies unter Eid zu bezeugen?« wollte Grave wissen.
    »Das bin ich«, erfolgte Jakobs knappe, aber unmißverständliche Antwort.
    Modemann wandte sich an Gosling. »Könnte eine Beschwerde gegen diese Verstöße genügen, um eine Verfügung gegen die Weiterführung des Prozesses zu erreichen?«
    Martin Gosling rieb sich nachdenklich das Kinn. »Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß kaum ein Hexenprozeß durchgeführt wird, der strikt jeden Artikel der Carolina beachtet. Laut Artikel 44 wäre es sogar erforderlich gewesen, daß sich |243| der Ratsbeschluß über die Eröffnung des peinlichen Verhörs mit dem Vorliegen der einzelnen Verdachtsmomente auseinandergesetzt hätte. Wie ich erfahren mußte, enthalten die Prozeßakten aber nicht einmal eine Indizienzusammenstellung, sondern berufen sich ausnahmslos auf mündliche Verleumdungen. Auch das ist ein schwerer Verstoß gegen die Rechtsordnung, aber eine Verfügung damit zu erwirken – nein, da sehe ich kaum Hoffnung auf Erfolg.«
    »Aber warum nicht?« fragte Jakob.
    »Mein Freund, sagt Ihnen der Begriff
crimen exceptum
etwas?«
    »Ich kenne die Bedeutung der Worte.«
    » Crimen exceptum
– ein außergewöhnlich schweres Verbrechen, das außergewöhnliche Maßnahmen erfordert. Hexerei und Zauberei – eben genau diese Delikte fallen unter solch eine Bezeichnung. Bei einem derartigen Verdacht wird von einem Richter erwartet, daß er alles daransetzt, eine Hexe zu einem Geständnis zu bewegen, und darum wird es auch gebilligt, das Strafgesetzbuch in diesen Fällen ein wenig zu beugen. So ist es die gängige Praxis, und eine Beschwerde würde den Fortgang des Prozesses nicht aufhalten können.«
    Verärgert schlug Modemann mit der flachen Hand auf die Tischplatte. »Gibt es denn nichts, was der Willkür des Rates Einhalt gebieten kann?«
    »Indem wir über unklare Paragraphen streiten?« fragte Gosling ironisch. »So läßt sich wohl nichts erreichen. Aber Ihr wißt, daß es einen Mann gibt, der Peltzer und dem Rat die Stirn bieten kann.«
    Modemann schaute Martin Gosling einen Moment lang an, als wäge er ab, ob er den Gedanken des Juristen tatsächlich erraten habe. Dann meinte er: »Ihr sprecht von Gustav Gustavson.«
    »Eine Intervention bei der landesfürstlichen Kanzlei sehe ich allerdings als Zeitverschwendung an. Nein, wenn Ihr diesen |244| Prozeß wirklich aufhalten wollt, dann müßt Ihr dies durch einen direkten Befehl des Landesherren erreichen.«
    Modemann zog die Stirn in Falten. »Aber wie es heißt, befindet sich Gustavson in Brandenburg. Genauer gesagt im Feldlager der schwedischen Armee bei Kyritz.«
    »Dann schickt einen Boten zu ihm. Aber verliert keine Zeit. In wenigen Tagen wird der Rat sein Urteil fällen.«
    »Und wen sollen wir schicken?« überlegte Modemann laut.
    Jakob bemerkte plötzlich, daß die Augen aller Anwesenden auf ihn gerichtet waren. Zogen Modemann und seine Mitstreiter es wirklich in Betracht, einem ehemaligen Vertrauten des Bürgermeisters ein derart heikles Anliegen anzuvertrauen?
    »Herr Theis, was wäre mit Euch?« bestätigte Modemann Jakobs Befürchtung. »Würdet Ihr Euch bereit erklären, diesen Dienst zu übernehmen?«
    Modemanns Bitte verschlug Jakob für einen Moment die Sprache. Eine Reise in das Feldlager vor Kyritz würde mehrere Tage in Anspruch nehmen, ganz zu schweigen von den Gefahren, die ein Ritt durch das vom Krieg heimgesuchte Land bedeutete. Es widerstrebte Jakob, von Sara getrennt zu sein, doch letztendlich war er in den Fall der Frauen Ameldung und Modemann inzwischen so stark eingebunden, daß es für ihn nur eine

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