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Hexentage

Hexentage

Titel: Hexentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Wilcke
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sich nahm.
    Seine erste Rast legte er nach Einbruch der Dunkelheit in einem kleinen Dorf, ganz in der Nähe Mindens ein, wo man ihm für ein angemessenes Entgeld einen Schlafplatz im Stall neben seinem Pferd anbot und eine warme Mahlzeit reichte. Zumindest war das Stroh sehr weich. Jakob steckte die Ledermappe, in der sich das wichtige Schreiben des Albert Modemann an den Landesherren Gustav Gustavson befand, unter sein Wams, verschränkte die Arme darüber und schlief sofort ein.
    Morgens brach er früh auf, denn er hatte sich vorgenommen, bis zum Abend Hannover zu erreichen. Es stimmte ihn zuversichtlich, daß ihm bislang kaum Anzeichen für das Kriegsgeschehen in dieser Gegend aufgefallen waren. Nur hin und wieder passierte er einzelne Häuser, die verlassen oder niedergebrannt worden waren. Bald bemerkte er jedoch, daß er ein zu hohes Tempo eingeschlagen hatte. Bereits um die Mittagszeit tat ihm der Rücken weh, und auch die noch nicht lang verheilte Wunde an seiner Seite begann schmerzhaft zu pochen. Er war kein geübter Reiter und hatte in den letzten Jahren nur kurze Ausflüge zu Pferd unternommen. Als Hannover noch fast zwei Wegstunden entfernt lag, entschied er, in der Nacht zu rasten, um am nächsten Morgen in aller Frühe weiterzureiten.
    Nachdem er Melchior an einem Baum festgebunden hatte, |248| breitete Jakob eine Decke auf dem Waldboden aus und verspeiste begierig die beiden Pasteten und einige Streifen geräuchertes Schweinefleisch, die Sara ihm mitgegeben hatte. Bis auf einen halben Laib Brot hatte er nun seinen Proviant aufgebraucht. Dann tastete er über die Narbe an seiner Seite und stellte fest, daß sie geschwollen war. Nun mußte er zu recht befürchten, daß er sich mit dieser Reise zuviel zugemutet hatte.
    Aus Sorge vor unerwünschten Besuchern unterließ er es, ein Feuer anzuzünden. Statt dessen hüllte er sich in seinen Mantel ein und betete, daß in der Umgebung keine Wölfe lauerten. Er schlief nur wenig, da er in der Nacht immer wieder aufschreckte, weil kleinere Tiere um ihn heumschlichen. Am nächsten Morgen fror er und fühlte sich erschlagen. Trotzdem machte er sich früh auf den Weg.
    Je weiter ihn sein Ritt nach Osten führte, desto spürbarer wurde der Krieg. Eine Gruppe verwahrloster Kinder nahm auf der Straße schreiend Reißaus und flüchtete sich in den Wald, als sie den Hufschlag seines Pferdes bemerkten. Bald darauf passierte er eine mächtige Eiche, an deren knorrigen Ästen drei tote Söldner hingen. Ihre Augen waren längst ein Opfer hungriger Krähen geworden. Es war schauderhaft, wie die Soldaten ihn mit leeren, dunklen Augenhöhlen anstarrten.
    Um die Mittagszeit herum stieß Jakob auf einen zurückgelassenen Troß, der aus rund einem Dutzend geplünderter Wagen bestand. Die meisten der Gefährte waren niedergebrannt worden, und zu allen Seiten lagen weit verstreut herausgerissene Kisten und Gegenstände herum.
    Da er seinen letzten Proviant bereits verspeist hatte, trieb ihn der Hunger dazu, von seinem Pferd abzusitzen und den Troß zu durchsuchen. Doch die Marodeure hatten ganze Arbeit geleistet und nichts von Wert oder Nutzen zurückgelassen.
    Kurz vor Einbruch der Dämmerung erreichte er eine abgelegene Bauernkate, wo er in der Hoffnung Halt machte, eine karge Mahlzeit und ein Quartier zu erhalten. Es hatte zu regnen |249| begonnen, und Jakob war alles andere als erpicht darauf, die Nacht auf dem feuchten Waldboden zu verbringen.
    Als er näher an das Haupthaus heran ritt, fiel ihm bereits auf, daß es vollkommen still war. Kein Tierlaut war zu vernehmen, keine menschlichen Stimmen; aus dem Schornstein des Hauses stieg keine Rauchfahne auf. Also hatten die Bewohner dieses Hauses wohl bereits Zuflucht in einer der befestigten Städte in der Nähe gesucht.
    Er klopfte dreimal an die Tür, und als ihm nicht aufgetan wurde, trat er vorsichtig ein. Vielleicht, so hoffte er, würde er hier noch etwas zu essen finden, und sei es auch nur ein hartes Stück Brot.
    Das erste, was ihm auffiel, war der bestialische Gestank in diesem Raum. Jakob verzog das Gesicht und kniff die Augen zusammen. Als er sie wieder öffnete, sah er etwas, das ihn zusammenzucken und an die Wand zurücktaumeln ließ.
    Allem Anschein nach waren die Bewohner von marodierenden Söldnern überfallen und getötet worden. Jakob machte acht Leichen vor sich auf dem Dielenboden aus. Zwei Männer, drei Frauen und drei Kinder. Man hatte ihnen die Hände und die Füße abgehackt und sie auf dem Boden

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