Hexentage
Stadt aus deutlich erkennen konnte.«
»Wer hat das Kloster niedergebrannt?«
»Niemand weiß es. Die Schweden behaupten, die Kaiserlichen hätten es bei ihrem Abzug in Brand gesteckt. Die Katholiken in der Stadt sagen, die Schweden wären dafür verantwortlich, weil sie die für eine Belagerung strategisch wichtige Position des Gertrudenbergs schwächen wollten. Andere wiederum sprechen davon, daß Bürger Osnabrücks aus Haß auf alles Katholische das Feuer gelegt haben.«
Es bedrückte Jakob, daß dieser Ort des Glaubens aus militärischen Gründen der Zerstörung preisgegeben worden war. Es fiel ihm nicht schwer, sich vorzustellen, wie das Leben im Kloster in |102| ruhigeren Zeiten ausgesehen hatte. Fleißige Nonnen, die ihre Gärten bestellten, der Klang ihres Gesangs während der Messe und die Stille der Meditation – all dies war einer traurigen Ruine gewichen, die auf dieser Lichtung wie ein fauler Zahn in einem ansonsten intaktem Gebiß wirkte.
Sara zupfte Jakob am Ärmel. »Wir sollten uns beeilen. Regenwolken ziehen auf«, sagte sie und schaute zum Himmel.
Unweit vom Kloster machte Sara sich daran, ihre Kräuter einzusammeln. Es fiel ihr schwer, sich zu bücken, und darum ließ Jakob sich von Sara die betreffenden Pflanzen zeigen und zupfte sie aus der Erde.
»Dort, das ist Fenchel, sehr wirksam gegen Verstopfung. Wir brauchen noch Kerbel gegen Hämorrhoiden und Senfkraut, das die Hustenbeschwerden lindert.«
Jakob folgte ihren Anweisungen, spürte aber plötzlich einen heftigen Schmerz und ließ sich auf die Knie fallen.
»Was ist mit Euch?« fragte Sara besorgt.
»Die Wunde kneift ein wenig. Nicht weiter schlimm«, beschwichtigte Jakob.
»Laßt mich sehen.« Sara setzte sich neben ihn und zog sein Hemd aus der Hose. »Die Wunde ist ein wenig angeschwollen. Ihr müßt Euch schonen, sonst bricht die Naht wieder auf.«
»Wir wollten uns doch beeilen.«
»Setzt Euch dort an den Baum«, wies Sara ihn an. »Eine Pause wird uns beiden guttun, und der Regen wird hoffentlich noch auf sich warten lassen.«
Sie ließen sich am Stamm einer mächtigen Eiche nieder.
»Ihr wißt so viel über die Heilkraft von Kräutern«, sagte Jakob. »Aber habt Ihr auch Kenntnisse über Pflanzen, die zur Abwehr von Dämonen angewandt werden?«
Sara runzelte die Stirn. »Was meint Ihr?«
»Es wird behauptet, daß Kräuter wie Ehrenwurz, Beifuß und Bibernell Dämonen vertreiben könnten, wenn man die Pflanzen dörrt oder zerreibt. Dämonen ertragen ihren Geruch oder Geschmack |103| nicht, und auch das Vieh bleibt geschützt, wenn man ihm etwas davon ins Futter mischt.«
»Ihr meint so etwas in der Art wie mit einer Brennessel dem Vieh die Maden zu vertreiben?«
Jakob nickte.
Sara lachte auf. »Man pflückt die Brennessel vor Sonnenaufgang, faßt sie mit beiden Händen und spricht: ›Brennessel laß dir sagen, unsere Kuh hat im Fuß die Maden; willst du sie ihr nicht vertreiben, so will ich dir den Kragen umreiben.‹ Anschließend dreht man die Pflanze in den Händen, bis sie reißt, und wirft die beiden Teile mit beiden Händen rückwärts über den Kopf.«
Jakob beschlich mittlerweile das Gefühl, daß Sara ihn nicht ganz ernst nahm.
»Natürlich wirkt diese Methode nur, wenn man die gesamte Prozedur an drei aufeinanderfolgenden Tagen wiederholt«, fügte Sara an und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
»Ihr macht Euch lustig über mich«, beschwerte sich Jakob. Solche Prozeduren waren allgemein gebräuchlich und anerkannt. Im Haus seiner Eltern etwa war es gute Sitte, am Johannistag die Wurzeln des Farnkrauts auszugraben, die man so an der freien Luft trocknete, daß keine Sonne darauf fallen konnte. Am Sonnenwendtag wurde das Kraut dann kreuzweise ins Eck eines Fensters gesteckt, um Unwetter zu vertreiben. Er wollte Sara dieses Beispiel entgegenhalten, doch bevor er seinen Einwand anbringen konnte, bemerkte er, daß Sara das Gesicht verzog und die Hände um ihren Bauch klammerte.
»Sara, was ist mit Euch?«
Sie sog tief Luft ein und atmete heftig aus. »Nichts von Bedeutung. Das Kind in meinem Bauch strampelt nur wild herum. Ist mir ganz recht, wenn es ein lebhafter Mensch wird.« Sie schürzte die Lippen und meinte: »Bald werdet auch Ihr Euch an solche Unannehmlichkeiten gewöhnen müssen.«
»Ich?« Jakob schaute sie fragend an. »Wieso ich?«
|104| Saras Augen funkelten. »Glaubt Ihr etwa, ich hätte Euch nur aus reiner Nächstenliebe geholfen? Ihr täuscht Euch. Ich habe Euch benutzt, um
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