Hexentage
war, der Stadt Lebewohl zu sagen. So zogen wir in die Welt hinaus und wanderten nach Süden. Kälte und Hitze, Nebel und Schneestürme, Hunger und Ungeziefer waren unsere Begleiter, als wir Tag für Tag über schlechte Wege marschierten, von Menschen und Tieren bedroht, ohne Aussicht auf einen gedeckten Tisch oder ein schützendes Dach am Abend. Wir wurden zu Landfahrern und lebten von dem, was wir uns erbetteln konnten oder von Gelegenheitsarbeiten auf den versprengten Höfen.« Sara schwieg einen Moment, versunken in Gedanken an vergangene Zeiten.
»Im Winter 1620 bezogen wir Quartier an der böhmischen Grenze, wo mein Vater einem Krämer begegnete, der ihm von seinem Vorhaben berichtete, nach der Schneeschmelze mit einer Gesandtschaft das Osmanische Reich zu bereisen. Der Krämer beschrieb meinem Vater das Land der Türken in den schillerndsten Farben und forderte uns auf, sich ihm anzuschließen. Als er den Geschichten des Krämers lauschte, sah ich zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder eine Spur von Leben in den Augen |107| meines Vaters aufblitzen. Und als der Frühling heraufzog, schlossen wir uns den siebzig Wagen und zweihundert Männern an, die über den Balkan nach Rumelien und von dort an die griechische Küste reisten. Wir setzten auf gewaltigen Dreimastern nach Kreta und Zypern über und erreichten elf Monate nach unserer Abreise aus Böhmen die türkische Hafenstadt Tripolis. Mein Vater ließ sich von einem einheimischen Juwelier in der osmanischen Goldschmiedekunst unterrichten, und allmählich erwachte in ihm wieder die alte Fähigkeit, mit seinen Händen das Gold so zu formen, daß es eine Kunst war.
Wir blieben ein Jahr in Tripolis, dann zog es meinen Vater weiter gen Osten, nach Persien, in das Reich der Safawiden, das in seiner höchsten Blüte stand. Reisende schwärmten von Schah Abbas, der als machtvoller, aber auch umsichtiger Herrscher galt. Abbas, so berichteten sie, förderte die schöpferischen Künste in seinem Land, und es hieß, die Hauptstadt Isfahan sei unter seiner Herrschaft zu einer der prächtigsten Zentren der Welt aufgestiegen.
Mit dem Geld, das er in Tripolis verdient hatte, sicherte Vater uns zwei Plätze in einer Karawane Richtung Isfahan. Der Weg durch trockenen Wüstensand und über das hohe Zagrosgebirge erwies sich als äußerst beschwerlich, aber mittlerweile war ich an die Strapazen langer Reisen gewöhnt, und im Sommer des Jahres 1624 erblickten wir auf einer Hügelkuppe vom Rücken eines Kamels aus die Stadt Isfahan. Es verschlug mir die Sprache. Niemals zuvor hatte ich eine solche Metropole zu sehen bekommen. Ich hatte nicht einmal geglaubt, daß es überhaupt so viele Menschen auf der Welt gab, um eine solch gewaltige Stadt zu bevölkern. Isfahan ließ nichts von der Pracht missen, von der allerorts berichtet worden war. Unzählige Paläste und Moscheen erstreckten sich bis in den Horizont. In jedem Stadtteil gab es Basare voller Leben. Man begegnete vornehmen Männern in goldverzierten Gewändern, die prächtige, mit Kranichfedern geschmückte Turbane trugen und die zahlreichen |108| Kaffeehäuser und Dampfbäder besuchten. Und nachts brannten in der Stadt Tausende von Lampen.«
»Unglaublich.« Jakob beneidete Sara darum, so viele Wunder dieser Welt gesehen zu haben.
»Wir hatten die monatelange Reise genutzt, um die persische Sprache zu erlernen, und so bereitete es meinem Vater keine Schwierigkeiten, Kontakte zu den Gold- und Kupferschmieden Isfahans zu knüpfen, die ihm zwar zunächst zurückhaltend entgegentraten, aber recht schnell von seiner Kunstfertigkeit überzeugt waren. Sie unterrichteten ihn in den persischen Stilarten, und meinem Vater gelang es, sich mit seiner Phantasie und Disziplin Respekt zu verschaffen. Bald schon bezogen wir ein eigenes Haus, in dem er eine Werkstatt eröffnete. Hochgestellte Persönlichkeiten aus Isfahan nahmen seine Arbeit in Anspruch, und eines Tages ließ sich sogar der Schah, dem das Talent des Schmiedes aus dem Abendland zu Ohren gekommen war, einen herrlich verzierten Kelch von meinem Vater anfertigen.
Schon vor unserer Zeit in Isfahan hatte ich an mir die besondere Begabung entdeckt, den Zeichenstift zu führen. Ich bannte das Leben, die Tiere und die Häuser dieser aufregenden Welt auf das Papier. Eine Welt, die mir inzwischen vertrauter geworden war, als das Land, das ich viele Jahre zuvor verlassen hatte. Mein Vater machte sich mein Talent zunutze, indem er mich die Konstruktionszeichnungen für seine
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