Hexentage
Arbeiten anfertigen ließ. Eines Tages besuchte Rahman al-Bistam unser Haus, einer der angesehensten Chirurgen Isfahans, der für seine Tochter sieben goldene Ringe in Auftrag gab. Er wurde in der Werkstatt auf meine Zeichnungen aufmerksam und bat, meine Dienste für ein entsprechendes Entgeld in Anspruch nehmen zu dürfen. Mein Vater stimmte ihm zu, und ich folgte diesem Mann in sein Haus, zeichnete für ihn anatomische Details und illustrierte seine Anleitungen für chirurgische Eingriffe. Später lehrte er mich, die arabische Schrift zu lesen, machte mich mit den Schriften Avicennas und Galens vertraut und erlaubte es mir sogar, bei dem |109| einen oder anderen schwierigen chirurgischen Eingriff zuzuschauen.«
»Und das, obwohl Ihr eine …« Jakob verstummte abrupt, doch Sara hatte sofort erraten, was er sagen wollte.
»Obwohl ich eine Frau bin? Oh, ich habe oft genug erfahren müssen – egal, ob in den deutschen Landen oder in der arabischen Welt –, daß man mir Wissen vorenthielt, weil ich kein Mann war. Rahman al-Bistam jedoch scherte sich nicht darum. Er sah in mir einfach nur einen begabten Menschen, dem das Lernen leichter fiel als vielen männlichen Schülern, und er förderte mich so gut es ihm möglich war und es seine knapp bemessene Zeit erlaubte.
Ich bewunderte ihn dafür. Niemals hatte ich einen umsichtigeren, gebildeteren Mann kennengelernt. Er war wie geschaffen dafür, Arzt zu sein. Seine schwarzen, besonnenen Augen schenkten selbst Todkranken neuen Mut.
Nicht zuletzt durch die Freundschaft zu diesem außergewöhnlichen Mann wurde Isfahan zu dem Ort, in dem ich endlich eine Heimat sah. Auch mein Vater fand hier die Freude am Leben zurück, doch je weiter er sich von den Fesseln seiner Trauer befreite, desto stärker wuchs in ihm der Wunsch, nach Osnabrück heimzukehren. Wir waren elf Jahre zuvor als Bettler aufgebrochen, hatten sechs Jahre in Isfahan gelebt, es zu einem gewissen Wohlstand gebracht und konnten nun mit befreiter Seele dorthin zurückkehren, wo unsere Wurzeln waren, auch wenn es bedeutete, einer der faszinierendsten Metropolen der Welt den Rücken zu kehren. Ich weiß heute nicht einmal mehr genau, warum ich überhaupt mit ihm ging. Wahrscheinlich befahl mir mein Pflichtgefühl, daß ich meinem Vater nicht im Stich lassen durfte, sosehr es mich auch schmerzte, mich von Rahman al-Bistam zu trennen.«
»Und so kehrtet Ihr also zurück.«
»Wie beengt und fade mir Osnabrück doch nach unserer Rückkehr erschien. Der Krieg dauerte noch immer an, die katholische Besatzung war einige Wochen zuvor von den Schweden |110| vertrieben worden, und die Bürger litten arg unter den Kontributionen, die von den Schweden ebenso wie zuvor von der katholischen Liga erhoben wurden. Einzig die zahlreichen Erinnerungen an meine persische Vergangenheit, mit denen ich meine Kammer schmückte, erleichterten mir den Alltag.
Die schwedische Besatzung verlangte von den Bewohnern Osnabrücks, daß sie ihre Häuser zur Einquartierung der Truppen zur Verfügung stellten. Auch unser Haus blieb von dieser Maßnahme nicht verschont, aber glücklicherweise teilte man uns keinen tumben Söldner zu, sondern einen gebildeten, höflichen Offizier, der die kleine Kammer bezog, in der auch Ihr schon übernachtet habt. Sein Name war Magnus Erikson. Ich mochte ihn vom ersten Augenblick an. Er sprach ein wenig deutsch, und so unterrichteten wir uns gegenseitig in unseren Muttersprachen. Später berichtete ich ihm ausführlich von meiner Zeit in Isfahan, und Magnus lauschte meinen Berichten ebenso gebannt wie Ihr jetzt.«
Sara lächelte und streichelte ihren Bauch. »Und dann geschah etwas, was nicht vorgesehen war.«
»Dieser Magnus Erikson hat Euch Gewalt angetan?« fragte Jakob vorsichtig.
»Gewalt?« Sara schmunzelte. »Na ja, in den Nächten in denen wir miteinander geschlafen haben, bekamen wir schon einige Schrammen und Kratzer ab. Aber wenn ich mich recht entsinne, war ich es sogar, die ihn verführt hat. Einige Wochen später wurde er aus der Stadt abgezogen. Er hatte mir erzählt, daß er daheim in Schweden Frau und Kind zurückgelassen hatte. Selbst wenn er noch leben sollte, darf ich also wohl kaum darauf hoffen, daß er eines Tages zu mir zurückkehrt.«
Ihre Offenheit machte Jakob verlegen. Er wollte ihr ein Wort des Trostes sagen, fand aber keine Formulierung, die nicht schal oder unpassend klang.
»Vielleicht ist es besser so«, fuhr Sara fort, ohne ihn anzuschauen. »Warum sollte ich mich an
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