Hexentage
einen Zauber an Euch auszuprobieren.«
Jakob starrte sie entgeistert an, unfähig, sich zu rühren.
»Den Kindszauber«, behauptete sie. »Ja, Jakob Theis, ich habe Euch durch Eure Wunde ein Dämonenkind in den Bauch gepflanzt. Es wächst und wächst, und eines Tages will es heraus, doch es wird keinen Weg finden, denn Ihr seid keine Frau.«
Sein Herz begann wie wild zu pochen. Schweiß trat ihm auf die Stirn, und seine Hand fuhr an die rechte Seite. Sara drückte jedoch seine Finger fort und lachte schallend.
»Habt es wirklich geglaubt? Jakob, man kann Euch Geschichten auftischen, auf die nicht einmal ein Kind am Rockzipfel der Mutter hereinfallen würde.«
»Dann habt Ihr geschwindelt?«
»Nur ein kleiner Schabernack.« Sara lächelte.
Jakob schüttelte unwirsch den Kopf, beleidigt über den Unfug, den er im ersten Augenblick tatsächlich für bare Münze genommen hatte. Er ärgerte sich nicht nur über seine Einfältigkeit, sondern auch über Saras Leichtsinn. Es war gefährlich, Scherze über Zauberei zu treiben. Wie rasch konnte solch ein dummer Scherz mißverstanden werden und das Leben der Beteiligten in Gefahr bringen. Jakob hätte Sara in diesem Punkt für klüger gehalten.
Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander. Sara schmunzelte noch immer über ihren Streich, doch dann wurde auch sie ernster und sagte: »Ihr denkt es immer noch.«
»Was denke ich?«
»Daß ich eine Hexe sein könnte.«
»Nein … ich …«, stammelte er. »Was erwartet Ihr, wenn Ihr es darauf anlegt, mich mit diesen Spielchen zu täuschen?«
»Trotzdem solltet Ihr mich langsam gut genug kennen, um mir ein gewisses Maß an Vertrauen entgegen zu bringen.«
»Aber das tue ich doch. Wenn ich überzeugt davon wäre, daß |105| Ihr vom Bösen besessen seid, hätte ich Euch dann berichtet, was ich im Bucksturm gesehen habe?«
»Wohl nicht, und darüber, daß Ihr es doch getan habt, bin ich sehr froh.« Sara strich ihm über die Hand.
Jakob zögerte einen Moment, dann sagte er: »Trotzdem seid Ihr noch immer ein Rätsel für mich.«
»Aus welchem Grund?«
»An dem Morgen, an dem ich in Eurem Haus aufgewacht bin, habe ich Euch gesucht, und ich habe Eure Schlafkammer betreten.«
Sara kicherte. »Da habt Ihr sicher einen gehörigen Schreck bekommen.«
»Was ich dort gesehen habe, war so … fremd. Diese kunstvollen Teppiche, Bilder von Tieren, die mir völlig unbekannt sind, und Bücher, deren Schrift ich nicht lesen konnte.«
»Das hat Euch verwirrt, nicht wahr? Nun, ich habe nicht immer in den deutschen Landen gelebt.« Sara wandte sich um, so daß sie Jakob ins Gesicht schauen konnte, und stützte ihren Kopf auf dem Arm ab. »Soll ich Euch meine Geschichte erzählen?« fragte sie.
»Ja«, entgegnete Jakob. »Überzeugt mich davon, daß Ihr keine Hexe seid.«
»Ach, Jakob, nur weil man eine Sache nicht kennt oder sie nicht versteht, heißt das doch nicht, daß sie böse sein muß. Vielleicht versteht Ihr mich besser, wenn Ihr mir einfach zuhört. Aber der Reihe nach. Ich beginne im Jahr 1618, diesem schicksalhaften Jahr, in welchem der Aufstand der böhmischen Stände gegen König Ferdinand II. Europa in einen barbarischen Konflikt stürzte. Doch nicht nur für Europa war 1618 ein Unglücksjahr, auch mein Vater, der zu der Zeit seine erste eigene Werkstatt in Osnabrück eröffnet hatte, mußte erleben, wie schnell eine friedliche Welt zerstört werden konnte. Ich war damals drei Jahre alt, meine Mutter war mit einem zweiten Kind schwanger, die Geschäfte in der Goldschmiede gingen gut, doch innerhalb |106| von wenigen Tagen brach die hoffnungsvolle Zukunft unserer kleinen Familie wie eine brüchige Scheune unter dem Feuer von Geschützkanonen zusammen. Das Kind wurde tot geboren, und nur drei Tage später starb auch meine Mutter am Kindbettfieber.«
»Gott, wie schrecklich.« Jakob konnte nur erahnen, was es bedeutete, Frau und Kind zu verlieren.
»Mein Vater konnte ihren Tod kaum verkraften und vernachlässigte seine Geschäfte so sehr, daß er innerhalb eines halben Jahres ruiniert war. Er ertränkte seinen Kummer in Branntwein und war nicht mehr in der Lage, uns beide zu ernähren. Als er durch seine Schulden das Haus verlor, waren wir praktisch mittellos. Dann, an einem der ersten Frühlingstage des Jahres 1619, teilte mein Vater mir mit, daß wir Osnabrück verlassen würden. Ich sehe sein Gesicht noch heute deutlich vor mir. Selbst als vierjähriges Kind habe ich verstanden, daß es für ihn der einzige Ausweg
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