Hexentage
auszudenken.
Zögerlich überquerte er den Wehrgang vor dem Bucksturm und näherte sich dem Eingang zum Hexengefängnis. Mit jedem Schritt lastete der Gedanke schwerer auf ihm, in welche Schwierigkeiten er durch seinen Schwindel geraten konnte. Er hatte bislang überhaupt keinen Gedanken daran verschwendet, welche Konsequenzen es für ihn bedeuten könnte, sollte Peltzer bei einem späteren Zusammentreffen mit Laurentz diese Angelegenheit zur Sprache bringen. Sein Lügengebäude würde zusammenbrechen, und die Folgen konnten sich auf seine Zukunft verheerend auswirken. Er mußte plötzlich an Agnes denken – sie durfte nie erfahren, worauf er sich in dieser fremden Stadt eingelassen hatte. Dem Umstand, daß er Peltzer gegenüber gelogen |133| hatte, um einer schwangeren Frau zu gefallen, würde sie allenfalls Verachtung entgegenbringen.
Jakob atmete tief durch, pochte an die schwere Eichentür und wartete, bis ihm geöffnet wurde.
Ein Mann mit gewaltig abstehenden Ohren steckte seinen Kopf durch die Tür, musterte Jakob und fragte unwirsch: »Was wollt Ihr?«
Jakob reichte ihm das Schreiben Peltzers. »Mein Name ist Jakob Theis. Mit Erlaubnis des Bürgermeisters möchte ich zu den Gefangenen geführt werden.«
Die Wache nahm ihm den Brief ab und bat ihn herein. In der Wachstube schwelte die Glut einer Kohlenpfanne, um die zwei weitere Männer saßen und sich die Zeit mit einem Würfelspiel vertrieben. Einer von ihnen war der Pockennarbige, der Jakob schon bei seinem ersten Besuch im Turm aufgefallen war. Er schien beim Würfeln eine glückliche Hand zu führen, denn der Stapel Münzen vor ihm auf dem Boden türmte sich annähernd doppelt so hoch wie bei den anderen Wachen.
Der Mann mit den abstehenden Ohren drehte den Brief unschlüssig in seinen Händen und starrte angestrengt auf das Siegel. Jakob bezweifelte, daß der Mann jemals lesen gelernt hatte.
»Gib her, du Esel!« Der Pockennarbige riß der anderen Wache das Papier aus der Hand. Er brach das Siegel auf, und bevor er den Inhalt noch ganz überflogen hatte sagte er: »Keine Sorge, ich kenne den Burschen. Der war schon mal hier. Ist ein Bekannter vom Bürgermeister.«
»Alles in Ordnung.« Der Mann deutete mit der Hand nach oben, was Jakob als Aufforderung verstand, sich zu den Inhaftierten zu begeben. Jakob wandte sich um, wollte zur Treppe gehen, doch er registrierte, daß der Wachmann, der ihm die Tür geöffnet hatte, Anstalten machte, ihm zu folgen. Jakob fluchte in Gedanken. In Gegenwart einer Wache konnte er Saras Auftrag kaum erfüllen, sondern nur seine Rolle spielen und die läppischen Fragen vortragen.
|134| Zum Glück rettete ihn wieder der Pockennarbige.
»Wo willst du denn hin? Hab’ dir doch gesagt, der Kerl ist in Ordnung. Der verläuft sich hier schon nicht. Willst du etwa darauf verzichten, dir dein Geld zurückzuholen?« rief er seinem Kumpan zu.
Der Mann hinter Jakob drehte sich unschlüssig um, schien einen Moment lang zwischen Pflicht und Vergnügen abzuwägen und entschied sich schließlich dafür, zu den Würfeln zurückzukehren. Jakob atmete tief durch und stieg mit wackligen Beinen die Steintreppe hinauf.
Noch bevor er die Tür zum Kerker passiert hatte, schlug ihm der widerliche Gestank von Fäkalien entgegen, der noch intensiver zu sein schien als bei seinem ersten Besuch. Jakob spürte Übelkeit in sich aufsteigen, doch er zwang sich dazu, die nächsten beiden Stockwerke rasch hinter sich zu lassen und in den Raum einzutreten, in dem sich Anna Ameldung und Anna Modemann befanden. Nun, nach Sonnenuntergang, spendeten zwei flackernde Öllampen kaum genug Licht, daß er die Umrisse der beiden auf dem Boden kauernden Gestalten ausmachen konnte.
Er stand in der Tür und wagte einen Moment lang nicht einmal Luft zu holen. Er hatte Angst vor den angeketteten Frauen – Angst davor, selbst einmal einem solchen Schicksal ausgesetzt zu sein.
Bislang hatte ihn niemand hier im Halbdunkel der Tür entdeckt. Noch konnte er sich umdrehen und diesem elenden Gemäuer entfliehen. Doch er hatte Sara ein Versprechen gegeben. Wenn er kehrt machte, würde sie ihn verachten.
Die alte Frau Modemann entdeckte ihn als erste. Sie richtete sich blinzelnd auf ihrem kargen Strohlager auf, reckte den Hals in seine Richtung und rief: »He, wer ist da? Seid Ihr es, Meister Matthias?«
Ihre heisere, aber dennoch dominante Stimme veranlaßte Jakob, aus dem Schatten zu treten. Seine Augen gewöhnten sich |135| langsam an das matte Licht. Er
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