Hexentage
betrachtete Anna Ameldung, die ihre Beine in den verschmutzten Umhang eingewickelt hatte und sich stöhnend aufsetzte. Ihre Augen starrten ihn träge an, das Haar hing verdreckt am Kopf herunter, und in ihrem Gesicht zeichneten sich rote Flecken auf der bleichen Haut ab.
»Jetzt erkenne ich Euch«, rief die Modemann. »Ihr seid vor ein paar Tagen schon einmal hier gewesen. Zusammen mit Peltzer. Fandet es so gemütlich, daß Ihr Sehnsucht nach uns bekommen habt, was, Jüngelchen?« Sie lachte spöttisch. »Ver schwindet und kuscht Euch in den Schoß Eurer Mutter!«
Ihre harschen Worte schüchterten Jakob ein. Woher nahm die alte Frau nach all den Wochen der Entbehrung in diesem Verlies nur die Kraft, allein mit ihrer keifenden Stimme ungebetene Besucher in die Schranken zu weisen?
»Also, was willst du hier? Zuschauen, wie wir verschimmeln?« Wütend trat die Alte mit dem nicht angeketteten Fuß nach ihm.
Jakob machte eine beschwichtigende Geste. »Nein, nein …« Er räusperte sich. »Ich … ich möchte mit Frau Ameldung sprechen.«
»Hat Peltzer Euch geschickt?«
Jakob hatte Anna Ameldungs Stimme kaum wahrgenommen. Nur ein heiseres Flüstern war über ihre Lippen gekommen.
»Nein, der Bürgermeister hat nichts damit zu schaffen.« Jakob setzte sich vor die Apothekersfrau in die Hocke und flüsterte: »Ich komme im Auftrag von Sara Meddersheim.«
»Sara?«
»Sie hat Euch nicht vergessen.« Jakob konnte das Aufflackern von Hoffnung auf ihrem Gesicht erkennen. Wahrscheinlich war dies die erste gute Nachricht, die sie während der fast schon sechs Wochen ihrer Inhaftierung erreichte.
»Wie geht es meinem Mann? Und meinen Töchtern? Was geht dort draußen vor sich? Wird man uns freilassen?«
|136| »Ich habe nicht mit Eurem Mann gesprochen. Und soweit ich unterrichtet bin, wurde Euer Fall noch nicht verhandelt.«
Die zarte Hoffnung, die in Anna Ameldung aufgekeimt war, wich einer deutlichen Ernüchterung. Trotz des Mitleids, das Jakob für diese Frau empfand, durfte er nicht außer Acht lassen, daß sich hinter ihrem unscheinbaren Äußeren eine Dienerin des Satans verbergen konnte. Diese Zweifel hatten Jakob dazu veranlaßt, ein silbernes Kruzifix in das geheiligte Weihwasser des Doms zu tauchen, bevor er den Weg zum Bucksturm antrat. Nun zog er dieses Kreuz unter seiner Schärpe hervor und hielt es vor Anna Ameldungs Gesicht. Wenn sie wirklich eine Hexe war und ihr das Böse innewohnte, würde das geweihte Symbol ihre Haut wie glühende Kohle verbrennen.
»Küßt das Kreuz«, verlangte er.
Die Modemann, die ihn nicht aus den Augen ließ, mischte sich sofort ein: »Was veranstaltet Ihr da für einen Mummenschanz? Wollt Ihr uns bekehren? Das ist wohl nicht nötig, denn wir sind zu keiner Zeit vom christlichen Glauben abgefallen.«
Jakob ignorierte die streitbare Alte und führte das Kruzifix an Annas Lippen. Sie zögerte keinen Augenblick, beugte sich leicht vor und berührte es mit ihrem Mund. Nichts geschah. Jakob atmete erleichtert auf und steckte das Kreuz wieder ein. War Anna Ameldung wirklich nur das tragische Opfer einer üblen Verleumdung, ganz so, wie Sara es behauptet hatte?
Bei Frau Modemann war er sich in diesem Punkt allerdings nicht so sicher. Aus Sorge, die alte Frau könnte ihn in die Hand beißen, wenn er das Kruzifix an ihre Lippen führte, vermied er es, auch sie der Probe zu unterziehen.
Jakob holte unter seinem Mantel eine kleine Leinentasche hervor und öffnete sie. Er durfte nun keine Zeit mehr verlieren. Auch wenn die Wachen mit ihrem Würfelspiel beschäftigt waren, so konnten sie doch jederzeit auf den Gedanken kommen, nach den Gefangenen und dem unerwarteten Gast zu schauen. |137| Wenn sie ihn hier vor Anna Ameldung kniend mit einem Sortiment an Pulvern vor sich antrafen, würde er in ärgste Schwierigkeiten geraten.
»Laßt mich bitte Euer Fußgelenk sehen.«
Anna runzelte die Stirn, dann folgte sie seiner Aufforderung und zog den Umhang zurück. Jakob betrachtete ihren angeketteten Fuß und stellte erleichtert fest, daß sich die Entzündung nicht verschlimmert hatte. Die Wunde war gewaschen und der Eiter entfernt worden.
»Meister Matthias hat sich um meinen Fuß gekümmert«, sagte Anna, »aber die Wunde will nicht recht verheilen.«
Jakob nickte und reichte Anna ein kleines Säckchen.
»Sara schickt Euch dieses Pulver, um das entzündete Fleisch zu behandeln.« Sara hatte das Pulver als Plaun bezeichnet – eine Arznei, die in den russischen und litauischen Wäldern
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