Hexentage
erfahren.«
Sara wirkte auf einmal sehr abwesend. Sie murmelte nur etwas, das er nicht verstand, und starrte über ihre Tasse in das Zimmer.
»Was überlegt Ihr?« fragte Jakob.
|128| Sie senkte traurig den Blick. »Seit Tagen denke ich an Anna Ameldung und sorge mich um sie. Ihr habt mir berichtet, daß sich ihr Fußgelenk entzündet hat und zudem ein Fieber an ihren Kräften zehrt.«
»Gewiß, aber …«
»Ich ertrage es einfach nicht, untätig herumzusitzen, während Anna leidet. Hier im Haus habe ich heilende Salben und Pulver, die das Fieber und die Entzündung lindern könnten, und ich möchte Euch bitten, Anna diese Arzneien in den Bucksturm zu bringen.«
Jakob schaute sie ungläubig an. Herrgott, sie meinte es tatsächlich ernst.
»Ich sehe es in Euren Augen«, sagte Sara enttäuscht. »Ihr fürchtet Euch davor, ich könnte Euch täuschen und Anna eine Hexensalbe zukommen lassen, die sie fliegen läßt oder unsichtbar macht. Ihr mißtraut mir immer noch.«
»Nein«, meinte er zögerlich. »Ich bin von Eurer Rechtschaffenheit überzeugt, aber vielleicht seid Ihr es, die getäuscht wurde. Was ist, wenn Ihr Euch in Anna Ameldung irrt. Sie wurde unter dem Verdacht der Hexerei verhaftet, und ich muß in dieser Angelegenheit auf den Rat vertrauen.«
»Vertraut auf meine Menschenkenntnis, Jakob.«
»Schaut mich bitte nicht so flehend an«, verwehrte er sich. »Ich kann so etwas nicht tun.«
»Aber bedenkt doch: Selbst wenn Anna wirklich eine Hexe wäre, könnte sie diese Salben nur benutzen, um ihre Entzündung zu heilen. Sie würde durch Eure Hilfe nicht ihrem Urteil entgehen, sei es nun gerechtfertigt oder nicht.«
Jakob fühlte sich hin- und hergerissen. Er war in Osnabrück der Gast des Bürgermeisters, und es widerstrebte ihm, Peltzer zu hintergehen. Zudem fand er wenig Gefallen daran, noch einmal den Bucksturm zu betreten. Doch es imponierte ihm, wie vehement Sara für das Wohl der Anna Ameldung eintrat. Es bedeutete ein nicht geringes Risiko für sie, einen Mann, der dem |129| Bürgermeister nahe stand und den sie erst seit wenigen Tagen kannte, mit dieser Bitte zu behelligen. Jakob hätte sie ohne weiteres als Gehilfin der Hexen brandmarken und sie damit schwer belasten können. Zudem stand er tief in ihrer Schuld. Sie hatte sein Leben gerettet und sich selbst großer Gefahr ausgesetzt.
»Gott, ich muß verrückt sein, aber ich werde es tun«, sagte er kopfschüttelnd. »Allerdings weiß ich nicht, wie ich Peltzer erklären soll, daß ich noch ein zweites Mal und dazu allein den Bucksturm aufsuchen möchte.«
Sara starrte ihn an. »Ich habe immer gewußt, daß Ihr ein guter Mensch seid, Jakob. Gott wird Euch diese Tat hoch anrechnen.«
Hoffentlich wird er es mir nicht übelnehmen, wenn ich einer Hexe die Qualen erleichtere,
dachte er ernüchtert.
»Als Lohn für diesen Gefallen möchte ich mehr über Persien erfahren. Ich bitte Euch um genaue Berichte.«
Saras Augen funkelten. »Es werden mehr als Worte sein«, flüsterte sie geheimnisvoll. Dann fügte sie an: »Ihr müßt außerdem Anna etwas überbringen, das ihr neuen Mut verleiht. Sie soll wissen, daß es noch immer Menschen gibt, die an Ihre Unschuld glauben und ihr helfen wollen.«
Hatte Sara vor, einen persönlichen Gegenstand in den Bucksturm zu schmuggeln, etwa eine Zeichnung oder einen dieser kleinen hölzernen Elefanten? Jakob schüttelte den Kopf. »Das wäre viel zu gefährlich. Man würde solch einen Gegenstand früher oder später entdecken und Rückschlüsse auf Euch ziehen. Das könnte großen Ärger bedeuten.«
»Keine Sorge, lieber Jakob«, sagte sie. »Daran habe ich gedacht. Wir werden keinen Verdacht erregen, das kann ich Euch versichern.«
Sara trank den letzten Schluck Kaffee und zwinkerte ihm zu. Trotz all ihrer kleinen Querelen mußte sich Jakob eingestehen, wie sehr er die Zeit mit Sara mittlerweile schätzte. Und auch wenn sie keine Hexe war, hatte sie ihn auf ihre ganz eigene Art wohl doch ein wenig verzaubert.
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|130| Kapitel 14
Vor dem glutroten Auge der untergehenden Sonne erhob sich der Bucksturm wie ein mächtiger aus der Erde emporgestreckter Arm in den Abendhimmel. Hatte Jakob vor seinem ersten Aufenthalt im Hexengefängnis nur ein nervöses Unbehagen empfunden, so breitete sich nun eine lähmende Furcht in ihm aus, die sich durch seine Eingeweide fraß. Es war nicht allein die Abneigung gegen diesen düsteren Kerker, die ihn lähmte, sondern auch das bedrückende Schuldgefühl, Wilhelm
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