Hexentage
kleines Ruderboot vertäut worden war. Man zerrte Anna Ameldung als erste vom Karren. Einer der Büttel stützte sie, damit sie mit ihren zitternden Beinen vom Wagen |216| absteigen konnte. Wie die alte Frau Modemann trug auch sie nur ein schmutziges schlichtes Kleid aus grober Wolle. Die Entbehrungen der letzten Wochen ließen sie müde und ausgezehrt wirken.
Matthias Klare reichte Anna die Hand und stieg mit ihr zusammen in das Boot. Als er sich bückte, um seine Seilrolle zu verstauen, streifte sein Blick Jakob. Sie schauten sich nur einen kurzen Moment lang an, aber dennoch konnte Jakob eine gewisse Hilflosigkeit aus Klares Miene herauslesen. Wie mußte sich ein Scharfrichter fühlen, der als einer der wenigen um die wahren Hintergründe dieser Hexenprozesse wußte?
Klare setzte sich an die Ruder und steuerte das Boot mit kraftvollen Schlägen zu einer Ausbuchtung des Flußarms. Anna Ameldung saß mit gesenktem Kopf vor ihm und verhielt sich völlig reglos. Nur ihre Lippen bewegten sich. Anscheinend sprach sie ein leises Gebet.
In der Mitte des Flusses angekommen, holte Klare die Ruder ein und bedeutete Anna Ameldung aufzustehen. Sie erhob sich zögernd und schloß die Augen, als der Scharfrichter die Bänder an ihrem Hemd löste und den Stoff zu Boden fallen ließ. Anna Ameldung bedeckte ihren Körper notdürftig mit den Händen und krümmte sich verzweifelt zusammen, während bittere Tränen der Erniedrigung über ihre Wangen liefen.
Der Scharfrichter griff nach dem Strick, band Annas rechte Hand am linken Fuß und die linke Hand am rechten Fuß fest, so wie es die Ordnung dieses Gottesurteils vorschrieb. Ein zweites Seil schlang er um die Taille der Apothekerin und hob sie auf seinen Arm.
Saras klamme Finger suchten Jakobs Hand und hielten sie umklammert, während der Scharfrichter Anna ins Wasser warf. Die Apothekersfrau strampelte verzweifelt um sich und kämpfte darum, trotz ihrer Fesseln bis zum Grund des Flusses zu tauchen, um eine Handvoll Kies zu greifen – der Beweis, daß das geheiligte Element des Wassers sie nicht von sich stieß.
|217| Ihr Körper verschwand kurz unter der Oberfläche, doch einen Augenblick später wurde er bereits wieder nach oben gedrückt, und Anna schnappte hustend nach Luft. Der erste Versuch hatte ihre Unschuld nicht erweisen können. Klare zog sie wieder in das Boot, ließ sie kurz verschnaufen und führte die Probe noch zwei weitere Male durch. Erst danach wurde Anna endgültig zurück in das Boot gehievt, wo sie kraftlos in sich zusammensackte.
Da es ihr nicht gelungen war, den Grund des Flusses zu erreichen, galt ihre Schuld als erwiesen. Das Wasser hatte Anna Ameldung abgestoßen, was nach allgemeiner Einschätzung darin begründet lag, daß sie von der leichten und ätherischen Natur des Bösen durchdrungen war. Mathias Klare legte das Leinenhemd beinahe behutsam über die Apothekerin und ruderte langsam ans Ufer zurück.
Auch die alte Frau Modemann scheiterte an der Probe. Jakob hatte vermutet, daß die Greisin dieser Erniedrigung trotzig die Stirn bieten würde, doch als man sie nackt und frierend der Menge vorführte, verfiel auch sie wie zuvor Anna Ameldung in eine lähmende Lethargie. Nachdem die Probe drei Mal an ihr vollzogen worden war, kauerte sie aphatisch im Boot des Scharfrichters.
Jakob entdeckte eine Träne auf Saras Wange. Es war das erste Mal, daß er sie weinen sah. Er wollte sie in den Arm nehmen, um sie zu trösten, unterließ es aber, als er sah, daß Wilhelm Peltzer sich von einigen Ratsmitgliedern löste und auf ihn zutrat. Allein schon, daß er Saras Hand hielt, sorgte für einen spöttischen Blick des Bürgermeisters.
Peltzer musterte Sara einen Moment vielsagend, bevor er sich an Jakob wandte: »Die Schuld der beiden Hexen wurde bewiesen. Darüber hinaus bedarf es noch eines Geständnisses der Zauberinnen, doch das ist wohl nur mehr eine reine Formalität.« Er lächelte süffisant. »Jakob, ich gewähre Euch ein weiteres Privileg. Ich habe verfügt, daß Ihr das Protokoll während der peinlichen Befragung dieser Hexen führen werdet.« Seine Augen fixierten wieder Sara. »Falls Frau Meddersheim Euch entbehren |218| kann, erwarte ich, daß Ihr Euch zur fünften Stunde des Nachmittags im Bucksturm einfindet.«
Der Bürgermeister wartete keine Antwort ab, sondern wandte sich ab und dirigierte seine Gefolgsleute zum Stadttor.
»Wirst du es tun?« fragte Sara, der die Besorgnis deutlich ins Gesicht geschrieben stand.
Jakob nickte
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