Hexentage
verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Stadt. Handwerker ließen ihre Arbeit ruhen, Händler schlossen ihre Geschäfte, die Frauen scharten ihre Kinder um sich, und alle eilten durch das Herrenteichstor zum Hasekolk am Kumpersturm, dem Ort, an dem die Wasserprobe vollzogen werden sollte.
Als Jakob und Sara am Ufer der Hase eintrafen, hatte sich hier bereits eine große Menschenmenge versammelt. Jakob schätzte die Zahl der Schaulustigen auf über tausend. Das so überraschend festgesetzte Gottesurteil hatte das besondere Interesse der Bürger geweckt. Wer wollte nicht Zeuge werden, wie zwei Frauen von hohem Stand der Wasserprobe unterzogen wurden, die ihren |214| Pakt mit dem Satan belegen sollte? Die Mehrheit der Bevölkerung bestand aus schlichten Handwerkern und Bauern, deren karges Leben von harter Arbeit gezeichnet war. Je größerer Not die Menschen in dieser Stadt ausgesetzt waren, desto stärker richtete sich ihre Abneigung gegen das Patriziat der wohlhabenden Kaufleute, in deren Händen das Schicksal der unteren Stände lag. Mit welch hämischem Vergnügen mußten also diese Menschen verfolgen, daß auch zwei Frauen aus den besten Kreisen in die Mühlen der Justiz geraten konnten. Die meisten Bürger scherte es im Grunde wohl kaum, ob die Frauen schuldig oder unschuldig waren, es zählte nur, sie von ihren hohen Sockeln zu stoßen und erniedrigt zu sehen. Wilhelm Peltzer erfüllte der Bürgerschaft nun diesen Wunsch und sicherte sich dadurch das Wohlwollen und den Respekt der breiten Masse.
Während er mit Sara das Stadttor hinter sich ließ und sich der Hase näherte, hielt Jakob nach dem Bürgermeister Ausschau. In der Entfernung konnte er einige der Ratsherren ausmachen, die ihm von der Sitzung in Erinnerung geblieben waren. Auch Heinrich Ameldung und Albert Modemann warteten an der Flußbrücke mit betretenen Mienen darauf, Frau und Mutter endlich zu Gesicht zu bekommen. Der Bürgermeister jedoch war nirgendwo zu sehen.
Nutzte Peltzer seine Abwesenheit an der Durchführung des Gottesurteils als weiteres Mittel, um seine Neutralität in dieser Angelegenheit zu unterstreichen? Jakob hätte es nicht überrascht.
Er bemühte sich, Sara eine Gasse zwischen den vielen Menschen zu bahnen, die sich am Fluß drängten. Fast eine halbe Stunde verging, bis sie die Brücke überquert und sich durch die Menge auf den Feldern bis an das Ufer der Hase gekämpft hatten, von wo aus sich ihnen eine gute Sicht auf das Flußbett bot. Die Stadtmauer auf der gegenüberliegenden Seite schien um einen guten Meter an Höhe gewonnen zu haben. Die dicht an dicht stehenden Menschen bildeten dort eine Palisade aus Leibern. |215| Selbst auf der vorgelagerten Bastion waren die wachhabenden Musketiere zwischen den schaulustigen Männern und Frauen kaum mehr auszumachen. Einige Kinder waren auf die Kanonenrohre geklettert und hockten dort rittlings, als wollten sie eine spöttische Parodie auf die Hexen abgeben, die angeblich des Nachts auf ihren Besen und Heugabeln zu ihren geheimen Zusammenkünften flogen.
Obwohl sich so viele Bürger hier an der Herrenteichspforte versammelt hatten, erschien Jakob die Umgebung ungewöhnlich ruhig und friedlich. Selbst die Ankunft des Pferdekarrens, auf dem die Angeklagten zum Ort der Wasserprobe gefahren wurden, rief nur vereinzelte Schmährufe und verhaltene Flüche hervor. Man war vorsichtig und abwartend, denn trotz aller Häme war es für diese Menschen nicht üblich, zwei Frauen von hohem Stand zu verspotten und zu beschimpfen.
Anna Ameldung und Anna Modemann knieten bleich und mager mit blinzelnden Augen, denen das helle Tageslicht fremd geworden war, auf dem Karren, flankiert von einem halben Dutzend Männern der Landwehr. Nach mehr als acht Wochen in Ketten waren sie kaum in der Lage, aufrecht zu stehen.
Hinter dem Karren tauchte auch Matthias Klare auf. Der Scharfrichter hatte eine Seilrolle geschultert und folgte mit ernster Miene den vermeintlichen Hexen. Es berührte Jakob zutiefst, daß Klare nun wieder mit der Ungerührtheit auftrat, die man von einem pflichtbewußten Scharfrichter erwartete.
Als der Karren die Brücke passierte, löste sich Heinrich Ameldung aus der Menge und lief auf das Gefährt zu. Er streckte seinen Arm nach seiner Frau aus, und soweit Jakob es erkennen konnte, berührten sich kurz die Finger der beiden Eheleute, bevor der Apotheker von den Bütteln rüde zurückgedrängt wurde.
Der Wagen schwenkte auf eine flache Uferstelle der Hase zu, wo bereits ein
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